Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

Das Ebersbergkar in den Leoganger Steinbergen


Auch im August 2000 gilt das Gelände oberhalb des Lamprechtsofens im Bundesland Salzburg, Österreich, als ein "hot spot for caving". Man ist noch nicht im Himmel angekommen. Es gibt noch ein paar Meter Fels darüber, vor allem im Gebiet des Birnhorns, das noch bis 2600 m über dem Meeresspiegel in die Höhe ragt.

Seit 25 Jahren kommen schon Höhlenforscher aus Polen in dieses Gebiet und forschen dort. Intensiv. Jeder der in dieses Kar hinaufgegangen ist, weiß wohl, was "intensiv" heißt. Inzwischen bedeutet das, daß man mindestens 1.750m zu Fuß in die Höhe gehen muß, meist mit schwerstem Gepäck. Schafft man es beim ersten Male nicht, alles hochzubekommen, dann heißt dann, noch einmal hochgehen, was auch heißt, vorher noch einmal runtergehen. Ich habe an den Polen, die ich unterwegs getroffen habe, kein Gramm Fett zuviel an deren Körper gesehen. Solche Touren gehen nicht spurlos an einem vorüber. Ich weiß nicht, wie ich in unserer deutschen Sprache meine Gefühle diesbezüglich ausdrücken soll, auf englisch sind das die "interjections", die sich da genausowenig schriftlich wirklich wiedergeben lassen, ein "Bwwwhhhhhhh" vielleicht.

Alfred Schlagbauer, Intensivcaver, Drachenflieger und Elektromeister, Lampobezwinger und Hobbymaler, hatte die Initialzündung zu unserer Tour hinauf ins Ebersbergkar vom 14. bis 15. August 2000 gegeben. Die Polen seien oben, würden intensivst forschen. Er hat Zeit gehabt und ich auch. Er, noch ein bißchen mitgenommen von einer Hasardeurtour in den Frauenofen, und ich, gut ausgeruht, von einer Pauschalreise nach Rhodos. .....

Alfred hatte ursprünglich wohl an einen Aufbruch im 4 oder 5 Uhr in der Frühe gedacht. Wir einigten uns dann auf 13 Uhr als Treffpunktzeit am Parkplatz neben der Autobahnausfahrt Traunstein/Inzell. Und es ging auch nicht gleich los, sondern zuerst noch in ein schönes Wirtshaus, wo wir zuerst noch einen schmackhaften Schweinebraten mit einer Radlerhalben genossen. "First things first", sagt der Engländer. So gegen 3 Uhr waren wir dann endgültig beim Lampohütterl, wo es ziemlich zuging. 4 Polen waren da. Der Innenraum der Hütte war übersät mit Lebensmitteln, die von drei flinken jungen Polen gerade sortiert wurden - Futter für die Forscher, das demnächst den Berg hoch gebracht werden sollte. Henek, einer der polnischen Lampoforschergladiatoren der ersten Stunde war auch da. Wir trafen ihn erst am nächsten Tag wieder, als er auch erst gegen Abend den steilen Berg hinaufstampfte.
Alfred und ich fuhren hinüber zum Hackerbauern im Saalachtal, wo der lange Anstieg beginnt. Ein paar Autos der Polen waren auch schon da. Wir hatten nur leichtes Gepäck dabei, Gottseidank. Schlafsack und Liegematte, ein bißchen etwas zum Essen, ein bißchen etwas zum Trinken, ein Zahnbürstl und die Fotoapparate natürlich - Alfred hatte noch ein paar Extras dabei, z.B. ein kleines Kopfkissen, der Genießer.

Der Weg hinauf ist gut zu laufen. An vielen Stellen ist der alte Weg noch gut erhalten und führt ganz allmählich in die Höhe. Zerstört wird er nicht zuletzt durch die Kühe, die am Berg weiden. Bei 660 m Seehöhe beginnt man, bei 1300 m liegt die Jagdhütte Ebersberg. Unsere Tagesetappe war bei 1800 m bei den drei kleinen Seen und dem unteren Biwak der Polen erreicht. Die späte Tageszeit zum Aufstieg zu wählen erwies sich als genau richtig. Die Sonne brannte kaum mehr herunter auf uns, aber wir erlebten herrliche Lichtschauspiele rundherum. Bevor wir uns zur Ruhe legten, bekamen wir auf einmal noch Besuch. Die drei jungen Polen waren noch nach uns erst losgegangen, hatten einen schweren Gepäcktransport unternommen und wollten gleich wieder ins Tag absteigen. Am nächsten Tag wiederholten sie das Ganze noch einmal!
Als sie wieder weg waren, kehrte diese unglaubliche Ruhe wieder ein. Fast kein Laut war mehr zu hören, die Sonne sandte ihre letzten Strahlen hinüber zur Reiteralm, zum Seehorn, zum Watzmann, färbte sie rot, dann wurde es langsam dunkel, und der Vollmond tauchte über dem Birnhorn auf. Ein kleines ALDI-Weißbier zum Schluß. Ein herrlicher Tag ging zu Ende.

Während der Nacht wachte ich immer wieder auf, seltsame Träume verwirrten meinen "mind". Auch Alfred ging es so. Die Sonne ging prachtvoll im Osten auf, tauchte das Rothorn in ein Licht, das dieser Farbe alle Ehre machte, aber weitergeschlafen haben wir trotzdem. Erst um 9 Uhr krochen wir aus dem Schlafsack, Alfred machte uns einen Tee auf dem Esbitkocher, dann gings es los. Erstmal zum Blumenphotographieren. Und dann von 1800 auf 2400 m Seehöhe. Beim Biwak gab es ja noch jede Menge Latschen, aber die verschwanden bald. Nur noch bloßer Kalkstein war dann da. Senkrecht, waagrecht, schräg, plattig, zersägt in 1000 Karren, spitzig wie Messerschneiden. Ein mit Steinmännchen gut markierter Weg leitete uns nach oben, was kein Luxus ist, sondern nackte Notwendigkeit. Wenn man nämlich kein so gutes Wetter, wie wir hatten, hat, dann kann man sich leicht fürchterlich verlaufen, z.B. bei dichtem Nebel. Wie uns die polnischen Forscher im Desperadobiwak oben erzählten, verliefen sich einmal ein paar von ihnen zwischen ihren 2 Biwakzelten, die keine 50 m von einander entfernt waren, ziemlich hoffnungslos. Deshalb stehen dort alle 3 m Steinmännchen. Phasen des steilen Anstiegs wechseln mit solchen, wo es eher flach über das wilde Gelände geht. Im Gebiet unterhalb des Vogelschachtes verloren wir den Weg und schlugen uns weglos durchs Gelände. Alfred schraubte sich durchs steile Schrofenverbruchgelände nach oben, ich wählte eine etwas weitere, sichere Variante. Auf einmal sah ich ihn dann, gar nicht weit vor mir, auf einer Felszacke sitzen und auf mich warten.
Auf einmal war in der Ferne, auf ca. 2300 m Seehöhe, das Desperadobiwak der Polen zu sehen. Kleine rote und gelbe Kuppelzelte hoben sich am Horizont über den weißen Kalkplatten ab. Die Steinmännchenreihe zeigte den Anstieg. Kurz davor kommt man am Einstieg zum PL2 vorbei, dem derzeit höchsten Eingang ins Lamprechtsofensystem. Der kleine Eingang sind unscheinbar aus, nur eine Markierung am Fels weist darauf hin. Man kann sogar ein paar Meter rein, ehe es zur ersten Schachtstufe geht.

Die Polen hatten gerade Ruhetag. Sie lagen in ihren Zelten oder saßen um den provisorischen Tisch. Sofort wurden wir eingeladen zu einer Tasse Tee, der auch gleich darauf da war. Eigentlich unglaublich. Da geht man in die absolute Felswildnis und kommt an in einer "Teestube", wo man gleich herzlich bewirtet wird. Das Ambiente deutete darauf hin, daß da Nichtalltägliches geschieht. Die Schlaze lagen zum Trocknen ausgebreitet, die ganze SRT-Ausrüstung und was noch zu einem rechten "Forscher" gehört. Wir erkundigten uns nach dem Stand der Forschung. Der CL3, der große Hoffnungsträger, noch etwas weiter oben als der PL2, war Hauptattraktion. Man war in große Räume gelangt, auch voller Eis. Man kam aber leider nicht mehr recht weiter. Ein enger Spalt, durch den ein starker Luftzug streicht, verhindert das weiterkommen. An dem Spalt arbeiten die Polen. Etwa 20 Stunden war das schon, vielleicht 8 weitere noch nötig. Es werden Löcher mit der Benzinbohrmaschine in den Fels getrieben, die dann mit Spezialwerkzeugen erweitert werden, damit der Stein nachgibt und sich löst. Was hinter der Engstelle kommt, weiß kein Mensch, vielleicht die Verbindung zum Lamprechtsofen?

Alfred und ich waren neugierig geworden und wir gingen den halben Kilometer auch noch bergaufwärts bis zum Schachteingang. Bis dorthin reicht die Steinmannreihe. Alles, was man sieht, ist eine kleine Markierung am Fels und ein dünnes Seil, das zwischen Schnee- und Felswand in einen großräumigen Gang hineinleitet. Wir stiegen noch höher. Hier könnten die allerhöchsten Eingänge liegen. Tatsächlich gibt es hier keinen Mangel an Naturöffnungen im Fels. Einige haben bereits eine rote 0 am Eingang, was bedeutet, daß sie erkundet worden ist, aber es keine Fortsetzung gibt. Endlich hatten wir die Zone erreicht, wo es nicht mehr dauernd aufwärts ging. Die Plateaufläche begann sich nach Westen zu wieder leicht zu senken und es wurde ein Blick durch eine Scharte hinaus nach Tirol frei. Hier drehten wir um.

Wir setzten uns noch einmal zu den Polen und bekamen etwas davon mit, womit man sich dort ernährt. Da war so eine seltsame gelbliche durchsichtige Flüssigkeit, die sie sich öfters machen würden. Sie solle sehr kräftigend sein. Dann gibt es auch viel Körnernahrung, alles "Zeug", was wir gar nicht kennen. Und dann machte uns "Puma" einen Topf voll "Borscht", eine wirklich gut schmeckende Suppe aus Roten Rüben mit Gewürzen darin und polnisches Vollkornbrot. Angesichts des Wahnsinns, daß all dieses Essen hier herauf getragen hat werden müssen, war es ein echter Luxus, hier so etwas zu bekommen. Danke für die Gastfreundschaft.

Es war schon 3 Uhr nachmittag, als wir uns verabschiedeten und talwärts strebten. Es geht schon um vieles leichter, dem Berg von oben nach unten zu folgen, aber aufpassen muß man doch noch sehr. Jeder Schritt muß in dem steinigen Gelände "sitzen", sonst kann man sich leicht verletzen. Unterwegs trafen wir wieder auf die Polen von gestern, die schon wieder mit schwerem Gepäck unterwegs waren. Ich hob einmal probeweise so einen Rucksack. Danke, daß ich nicht so etwas bewegen mußte. Die polnischen Forscher erbringen hier eine ungeheure Leistung, die ihnen, glaube ich, keiner streitig machen wird. Ganz unten trafen wir auf Hennek, der im letzten Abendlicht gerade mit dem Aufstieg begann und in die Nacht hinein gehen wollte unter Ausnützung des Mondlichts. 2 1/2 Stunden wollte er bis zum Desperadobiwak nur brauchen. Wir strebten lieber zu Tal.

Ein paar Bilder von unserer Tour:

Erster Kontakt mit den Polen an der Lampohütte Das Ebersbergkar vom Tal aus - auf dem Weg zum Parkplatz
Ziemlich weit unten zu Beginn des Wegs Einmal keine Palmen, sondern Föhren ragen ins Urlaubsbild
>> Reiteralm
Auf dem alten Jagdsteig Bei der Jagdhütte
Auf etwa 1500 m Seehöhe Die kleinen Seen beim 1. Biwakplatz
Drei junge polnische Höhlenforscher schauen vorbei Die Reiteralm im Abendlicht
Ich im Bett Alfred beim Teekochen
Das Lahnerhorn im Morgenlicht Das Rothorn im ersten Sonnenschein des Tages
Blick vom unteren Zeltlager plateauaufwärts Ein Blick auf den zerfressenen Boden, nackter Kalk
Auf ca. 2000 m Seehöhe Karst in 2000 m Seehöhe
Auf 2000 m Seehöhe Ein großer Höhleneingang im Plateau
Ein erster Blick zum Desperadobiwak Das Plateau in 2400 m Seehöhe
Schachthöhleneingänge auf 2400 m Seehöhe

Der CL3-Eingang

"Desperado"-Biwakszenen
Bei der Wasserstelle "Puma" beim Kochen
Polnische Borschtsuppe Kräftigendes Etwas für die Forscher

PL2 - der augenblicklich höchste Eingang in die damals noch tiefste Höhle der Welt (r. Alfred Schlagbauer)

 

Literatur:

Landesverein für Höhlenkunde in Salzburg Salzburger Höhlenbücher Band 2 und 6
Ciszewski, Andrzej Bericht über die Expedition des KKTJ Kraków in die Leoganger Steinberge vom 20.07-30.08.2003, Atlantis, Jahrgang 26 - 2004, Heft 1/2, S. 3ff.

 

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