Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle
Die erste Eisenbahn / Carl Spitzweg
"..lassen wir zu, daß sich im Kunstwerk vor unseren Augen ein Streit der Wahrheiten entspinnt, der gegenläufigen, sich widersprechenden, einander sabotierenden Ordnungen....wir erleben, wie es in ihr tatsächlich zugeht." Peter von Matt, Freud und das Lesen
Im Dezember 2021 wurde dieses Meisterwerk von Carl Spitzweg wieder auf dem Kunstmarkt gehandelt und für 96.250 Euro bei Grisebach verkauft. Der Schätzwert dafür war noch 35.000 bis 34.000 Euro gewesen.
Auszug aus: Franz Lindenmayr, Das Höhlenmotiv im Werk Carl Spitzwegs", 2022
"Ein
einzigartiges Bildmotiv aus den Jahren um 1845/1850 trägt die Titel „Die
erste Eisenbahn“ (WWV 483) oder auch „Gnom, Eisenbahn betrachtend“, und
wurde auf den Deckel einer Zigarrenschachtel gemalt. Man sieht einen Zwerg in
Kapuzenjacke in einem hell-dunkelbraunen Höhleneingang stehend, der
hinausblickt in die flache Landschaft draußen. In der rechten unteren Bildecke
befindet sich Spitzwegs Monogramm, das S mit dem stilisierten Spitzweck.
Schaut man genau hin, dann sieht man eine fahrende dampfende Eisenbahn mit
mehreren Waggons. Ganze Welten prallen da aufeinander: Die Welt der Phantasie,
Zwerg, mit der Welt der Wirklichkeit, Höhle. Das Alte, die Felsengrotte, mit
dem Neuesten, dem Zug (10 Jahre vorher hatte man in Deutschland die erste
Eisenbahnstrecke errichtet, von Spitzweg in seinen Nachlass-Schriften als
„nicht aufzuhaltendes Fahrzeug von großer Gewalt“ bezeichnet). Es gibt zwei
Versionen des Bildes. Auf einer sieht man auf dem Bild übrigens hinter dem
stehenden Zwerg noch einen zweiten, hockenden – auf dem anderen nicht. Üppiger
Pflanzenbewuchs füllt mit Grün- und Gelbtönen Teile des Bildraums. Im oberen
Bildraum sind Weinranken zu erkennen, unten sind Kürbisblätter
hineinkomponiert. Der Zwerg hat einen auffälligen Spitzbart – eine
Eigenschaft, die wir auch auf dem Rübezahlbild von Moritz von Schwind sehen,
einem Freund von Spitzweg. Zwerge stehen für „elementare Erdgeister, die in Höhlen
und Klüften wohnen“ und die der Volkssage nach den Menschen nützen, aber
gelegentlich auch schaden können. Florian Illies nannte dieses Bild in der ZEIT
anlässlich seiner Versteigerung am 5. April 2008 bei Ketterer Kunst „das
vielleicht verrückteste Gemälde Spitzwegs“."
Um 1845/50 |
Die erste Eisenbahn |
Öl auf Leinwand, 53,0x32,0 cm Privatbesitz |
483 |
|
Auch anderen ging mit dem Auftauchen der Eisenbahn auf, daß da eine ganz neue Zeit angebrochen war: "Wie die Erfindung des Buchdrucks oder des Schießpulvers, wie die Entdeckung Amerikas seien die neuen Eisenbahnen ein "providencielles Ereignis das der Menschheit einen neuen Umschwung gibt, das die Farbe und Gestalt des Lebens verändert....Die Elementarbegriffe von Zeit und Raum sind schwankend geworden. Durch die Eisenbahnen wird der Raum getötet, und es bleibt nur noch die Zeit übrig. Ein unheimliches Grausen erfaßt mich angesichts dieser Vorgänge." (Heine, Fünfter Band, S. 449)
Das Schwankendwerden als immer für "Fest" gehaltener Größen hat Spitzweg in seinem Bild glänzend dargestellt, bei einem Bild, das so viel Ruhe ausstrahlt - auf den ersten Blick, und dann ratlos macht, bei der Frage, was das Ganze eigentlich soll.
Paulus hat in seinem Buch "Bayerns Zeiten" auch ein
Kapitel mit der Überschrift "Zweite Welten" verfaßt. Darin
analysiert er ausführlich anfangs Spitzwegs "kleinformatiges Ölbild auf
einem Zigarrenkistendeckel", einen "Zwerg, Ärmchen hinterm Rücken
verschränkt, vor das Oval seiner Höhle getreten", das 2008 schon für
70.000 Euro versteigert worden war. Wer mehr darüber lesen will, sei auf die
Literaturstelle verwiesen.
"Er malte keineswegs eine Idylle, vielmehr eine Entzauberung der alten
romantischen Welt und ihrer verwunschenen Wälder." (159)
Literatur:
Heine, Heinrich (1974): Sämtliche Schriften, hrsg. von Klaus Briegleb, Fünfter Band, München 1974
Lindenmayr, Franz (2022): Das Höhlenmotiv im Werk von Carl Spitzweg, Mitteilungen des Verbandes der deutschen Höhlen- und Karstforscher 4-2022, S. 110-117
Matt, Peter von (2007): Das Wilde und die Ordnung - Zur deutschen Literatur, Hanser, München 2007
Paulus, Christof (2021): Bayerns Zeiten - Eine kulturgeschichtliche Ausleuchtung, Verlag Friedrich Pustet, Regensburg
Links:
https://www.kunstkopie.de/a/carl_spitzweg/gnomvoneinerhhledieerstee.html
https://www.art.salon/artwork/carl-spitzweg_die-erste-eisenbahn_AID526733
Das Höhlenmotiv im Werk von Carl Spitzweg
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