Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

 

Johann Engelhardts „Urwohnungen und Funde..“ -       ein Höhlentext aus dem Jahre 1868

 


"Seit länger als einem Jahrhunderte beschäftigten sich Gelehrte mit mehr oder minder glücklichen Erfolgen mit historischen Forschungen über die anti- und postdiluvianischen Verhältnisse der Erde und ihrer Bewohner. Die Geologie ist mit reichen Funden aus den tiefen Schachten der Erde ans Licht getreten...." (Engelhardt 56)

"Materielle Reste sprechen nicht, sie flüstern nicht einmal leise." Susan Pollock, Archäologie. Zeugenschaft und Counter Forensics

"Der Raum zum Leben ist für den Menschen wie die Luft zum Atmen." Mario Botta in einem Internview mit Fulvio Irace

"Die Einsicht, dass die Kultur, in der man zufällig lebt, nur eine unter anderen ist und dass die Kulturen keineswegs so säuberlich voneinander getrennt und schon gar nicht hierarchisch geordnet sind, hat sich in der westlichen Welt nur langsam durchgesetzt." Stangneth, Sexkultur 130

"Dieses Talent hat die Menschen befähigt, hochkomplexe Gesellschaftsstrukturen aufzubauen, Kathedralen zu bauen, zum Mond zu fliegen oder Krankheiten durch Medikamente zu besiegen. Doch dieses Talent ist in einer Welt, in der die Ressourchen begrenzt sind, auch ein Fluch. Denn die Menschen sind zu klug und kooperativ, um mit einem Feuer, einem Fell und einer Höhle auf Dauer zufrieden zu sein - sie wollen mehr..." Weiss, Wir Versager 4

"In sehr kurzer Zeit sind wir (die Menschen, A.d.V.) von einer Outdoor-Spezies zu einer Art geworden, die ihre Zeit größtenteils in dunklen Höhlen verbringt." Russell Forster, Neurowisenschaftler in Oxford, Stremmel, Grüne Pille 51

"Wer oder was wir sind, ist heute um keinen Deut weniger geheimnisvoll als zur Zeit der ersten Menschen." Scheidler, Der Stoff 240

"Vor langer, langer Zeit, als die Menschen noch ihre Wanderungen über die Erde machten, hatten sie keine Behausungen, außer kleinen Erdgruben, di emit Geäst und Lehm abgedeckt waren. Viele dieser rohen, vorgeschichtlichen "Grubenhäuser" werden noch immer in ganz Amerika entdeckt.." Waters, Das Buch der Hopi S. 135ff.P)

"Die Vergangenheit ist niemandem zugänglich." Lukas Bärfuß

"Menschen suchten nach Orientierung im Chaos der Existenz. Sie brauchten Erzählungen, um die verwirrende Vielfalt der Welt und die unvorhersehbaren Ereignisse in einen Zusammenhang zu bringen. Bloß schienen die Zusammenhänge, die meine Gesellschaft herstellte, und damit ihre Orientierung geradewegs in den Untergang zu führen." Bärfuss, Vaters Erbe 37


Aufsesstal

Oberes Wiesenttal


Das wäre ein gutes Thema für HÖREPSY.... / das allerdings im Moment nicht mehr stattfindet....

 

Wer heute zur Quelle der Wiesent geht, der sieht dort eine Informationstafel, die auch auf Joh. Engelhardt Bezug nimmt. Mit seinem Bericht über die "Urwohnungen und Funde aus der Steinzeit", veröffentlicht 1868 von der naturforschenden Gesellschaft Bamberg, hat er sich in die Historie der Erforschung der Höhlen der fränkischen Alb eingeschrieben.

Erstmals stieß ich auf seinen Namen beim Studium von Adalbert Neischls Höhlenklassiker über die "Höhlen der Fränkischen Schweiz". Darin gibt es auch in kurzes Kapitel über die Geschichte und darin wird auch Engelhardt erwähnt. Verständlich ist es schon, daß er ziemlich vergessen war, denn seine Arbeit war kaum zugänglich. Mit der Zurverfügungstellung alter Literatur über das Internet ist das viel einfacher geworden und mit wenigen Tastendrücken kann man sich eine Kopie davon besorgen - wenn es auch gleich 50 Seiten sind.

Grabinschrift für Engelhardt auf dem Priestergrab in Königsfeld

Damit war die Lebensspanne von Engelhardt geklärt: 1821 (geb. in Neukirchen am Brand) -1893. Und die Wirkungszeit als Priester: 19 Jahre. Mehr konnte ich am 15. Juni 2020 nicht über Engelhardt herausfinden. Ich läutete am Pfarrhaus und eine freundliche Dame öffnete das Fenster des Pfarrbüros. Alles, was ich erfuhr, war, daß alle Unterlagen nach 10 Jahren von Königsfeld ins Archiv in Bamberg wandern. So wird mich die Recherche bald dorthin führen. Was wird da noch alles zu entdecken sein?

Inzwischen habe ich einige der Orte aufgesucht, die Engelhardt als "Urwohnung" ausgemacht zu haben glaubte. Das Wort "Höhle" hier zu gebrauchen, ist meist eine an Überstrapazierung grenzender Gebrauch des Wortes. Besser ist hier wohl Felsnische, denn öfters ist die Tiefenerstreckung und die Höhe der Objekte nur recht gering. Bei Regen kann man sich gerade öfters nur hinter die Trauflinie bewegen und wird damit nicht naß, aber für einen längeren Aufenthalt geeignet? Das ist nur bei wenigen mir bislang bekannten Objekten der Fall.

Eine größere schriftliche Arbeit über Engelhardt war in Arbeit und ist inzwischen erschienen. Eine etwas kürzere Version kann man im Fränkischen Höhlenspiegel nachlesen, eine etwas ausführlichere ist hier eingefügt. Es ist aber wie so oft: Kaum ist man fertig, dann kommt noch was dazu und man möchte so manches lieber anders formulieren... eine nie endende Geschichte.. Egal, hier steht jetzt etwas.

Grabstein von Engelhardt auf dem Friedhof von Königsfeld, 2022

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Johann Engelhardts „Urwohnungen und Funde..“

-       ein Höhlentext aus dem Jahre 1868

 

Franz Lindenmayr

Teil 1: Der Text im Kontext

 

„Oh seliges Verweilen in der Vergangenheit! Die Gegenwart ist so trüb und die Zukunft so finster!“ Engelhardt

„Dass Wissenschaft selten letzte, viel öfter dagegen vorläufige und oftmals ausgesprochen flüchtige Wahrheiten verkündet, ist eigentlich Alltagswissen.“ Frei, Vorläufig

1.      Einführung

Peter Sloterdijk spricht in Bezug auf das 19. Jahrhundert, vom dem „mehrdeutigen“. Eine allgemeine „Gesellschaftsdämmerung“ präge die Lage: „Die Offenbarung des Wahren und Wesentlichen geht nicht mehr von oben aus – nicht mehr von priesterlichen Verwaltern des maßgeblichen Wortes, von offiziellen Lobrednern der herrschenden Zustände, von Fürsten und klerikalen Stellvertretern Gottes. Die neuen Wortführer sind Weltkinder, die zur Mitwelt reden.“[1]

In einer so bewegten Zeit, wo das Alte seine unhinterfragte Gültigkeit verliert und Neues erst nach Gründung sucht, schreibt so ein „klerikaler Stellvertreter Gottes“ seine aktuellen Gedanken nieder und lässt sie veröffentlichen. Nur für kurze Zeit werden sie von den Zeitgenossen wahrgenommen, und dann wieder fast vollkommen vergessen. Das Internet macht den Text erst wieder leicht zugänglich und macht so eine erneute Auseinandersetzung damit möglich.

1868 erschien „Urwohnungen und Funde aus der Steinzeit“[2] von Johann Engelhardt, dem damaligen Pfarrer aus Königsfeld. Der Begriff „Steinzeit“ war überhaupt erst knapp 40 Jahre vorher geprägt worden[3].

Engelhardt wollte sehen, ob es auch in seiner näheren Umgebung in der nordwestlichen „Fränkischen Schweiz“ noch  Spuren davon gäbe. Er wollte wohl auch etwas mehr Licht in die „beklagenswerte Dunkelheit der Ursprünge“[4] bringen, so hatte es 1744 Giambattista Vico einmal formuliert.

Für die Bronzezeit (er schrieb noch „Broncezeit“) sprach die Existenz der „Heidengräber“, Eisenhalden schienen auf die „Eisenzeit“ hinzuweisen. In den „kleinen, runden Felswohnungen“ in den Felstälern der Region meinte er auch die „Steinzeit“ nachweisen zu können.

Er wandte sich an den „Herrn Oberbergrath D. C. W. von Guembel“ in München, „mein hochgeehrter Gönner“ (S. 56), der ihn unterstützte, und an weitere Persönlichkeiten, die er von seinen Plänen unterrichtete.

Das Buch „Das Alter des Menschengeschlechtes“ von Charles Lyell[5] unterzog er einem „vollständigen Studium“, so seine Aussage, ehe er loszog, die „Urwohnungen“ auszugraben.

Engelhardt bezeichnet sich nicht als „Wissenschaftler“, sondern als „natur- und historisch forschender Freund“, so daß er sich durchaus allen möglichen Spekulationen und Phantasien hingeben durfte, die für uns moderne Rezipienten heute wertvollen Lesestoff liefern.

2.      Der Haupttext

Einigen Ausführungen zur Geologie des Untersuchungsgebietes, der nordwestlichen Fränkischen Schweiz, folgen im Text solche über die Historie. Nach etwas allgemeiner Namenskunde kommt er unvermittelt zu den Stämmen, die hier früher gewohnt haben müssen.

Er hat außerdem von der Höhle von Aurignac gelesen und meint, daß die einstigen Bewohner denselben Stämmen wie sie einstmals hier gelebt hätten, zugehört haben müßten. Sein Argument: Die Völkerwanderungen gingen immer von Osten nach Westen.

Warum ausgerechnet „Aurignac“? Das erschließt sich aus dem Text nicht wirklich. Vermutlich war es die einzige diesbezügliche Örtlichkeit, von der Engelhardt damals, wegen der Lyell-Lektüre, wußte. Tatsächlich gab es um diese Zeit bereits sehr viel mehr bekannte bedeutsame Orte, Ausgrabungen und Ausgräber die man zu Vergleichen hätte heranziehen können. Aber sie hatten ja noch nicht die modernen Zeiten mit ihren Möglichkeiten, z.B. über das Internet. Hier tastete sich jemand vorsichtig vor in das Dunkel der Vergangenheit.

In Engelhardts Text geht es mit Namenskunde und Stammaufzählungen weiter, die dann zu einer Einteilung der vorangegangenen Völkerschaften führt. Die „Ureinwohner“ werden der „Steinzeit“ zugeordnet.

Von ihnen würden alle Nachrichten fehlen, weil „ja jeder Buchstabe fehlte“. Was man auf den zerschlagenen Knochen und Artefakten sehe, könne höchstens auf eine Art Zeichenschrift schließen lassen, „nach Art chinesischer Schrift“. Mehr darüber sagen zu wollen, „hiesse fabeln“.

Nun schreibt er Allgemeines zum Begriff der „Urwohnungen“ und benennt die „übereinstimmenden Merkmale“ für deren Erkennbarkeit[6]. Sie würden im Oberlauf sowohl der „Aufsees“ wie der Wiesent in den „schön geformten Felsen“ liegen.

Eine Urwohnung würde sich dort finden, wo wegen der Felsvorsprünge der Zugang nur von einer Seite her möglich sei, wobei, wenn man sie mit „Faschinen verhaue“, die Wohnung dann einer „festen Burg“ gleichkäme, „geschützt gegen Menschen und Thiere“. Weiteres Kennzeichen sei es, 30 Fuß tiefer einen fließenden Bach vor sich zu haben und, wo möglich, eine gesunde sprudelnde Quelle“ dabei zu haben.

Die erhöhte Lage sei ein guter Frühjahrshochwassersschutz und biete etwas „Stattlicheres und Sicheres“. Der Jäger könne dann besser „auf das Wild lauern, das zum Bache eilt“. Am Bache zu sein, das schaffe die Möglichkeit zum Angeln von Fischen – mit Angelgerät oder gar nur mit der Hand.

Das „kleine Seitenthal“ würde dem lauernden Jäger die Jagdvorteile gewähren und „seine sicheren Pfeile hätten ihm für lange Zeit Nahrung verschafft“. Aus den gefundenen Zähnen könne man auf die gejagten Wildarten schließen.

Zu jeder Wohnung hätte auch eine „Feueresse“ gehört, die sich meist neben der Höhle befunden hätte, manchmal auch in ihr, um sie „insbesondere im Winter, zu erwärmen, wie „heute noch in Grönland.“

Die Wohnungen hätten alle eine bestimmte Bauart: Rundbogenstyl an der Öffnung, nach innen zu sich verengend. Das bröcklige Gestein habe die Erbauung erleichtert, wo man auf festen Fels gestoßen sei, da habe man wieder aufgehört. Manche Höhle sei „durch plutonische und vulkanische Eruptionen“ entstanden – das ist in einem Karstgebiet eine sehr große Seltenheit oder eher eine falsche Entstehungshypothese, klingt aber spannend. Neben dem Haupttyp gäbe es auch solche mit 1-2 Ausgängen und Vorratsnebenbehältern.

 

In einem besonderen Teil geht es nun zu den einzelnen Urwohungen im Aufsees- und Wiesenttal.

Absteigend von Königsfeld folgt er dem Talverlauf und führt insgesamt 6 Wohnungen auf.

Besonders die Nr. 5 in Voitmannsdorf hält er für hervorhebenswert. Sie ist von drei Seiten her zugänglich, 28‘ lang, 8‘ hoch, 12‘ tief. Über der Wohnung sei eine weitere Wohnung in den Felsen gehauen, 52‘ lang, 10‘ breit und 7‘ hoch. Die hält er „augenscheinlich“ zu Versammlungen geeignet und habe dafür auch gedient. Als Pfarrer sieht er nicht nur die profane Welt. Eine „Tempelurwohnung“ habe das sein können – und in einer Nebenbemerkung meint er, daß die früheren Menschen dort, „vielleicht von hier aus die geahnte Gottheit nach ihrer Weise ehrten und die Priesterinnen, Druidinnen das ewige Feuer unterhielten“.

Das ist wie in einem Roman von Jules Verne, dessen „Reise zum Mittelpunkt der Erde“ gerade ein Jahr vorher in der 2. Fassung erschienen war, nämlich daß wir den literarischen Ideen des Schriftstellers einfach nur noch folgen, ohne weiter zu fragen, was noch Fiktion oder schon „Handfestes“ von dieser Welt ist, sofern es das überhaupt gibt.

In Sachsendorf erwähnt er eine Urwohnung: „Ist irgend eine Urwohnung sicher zu nennen, so ist es diese.“ 35‘ hoch über dem Talgrund ist sie, hat eine Feueresse, der Zugang war damals schon „beschwerlich“, vor der Wohnung gibt es ein Fischwasser, in der Nähe eine Quelle und gleich zwei einmündende Täler – der Prototyp der Engelhardtschen Höhlenwohnungen.

Im Wiesenttal beschreibt Engelhardt 14 Höhlenwohnungen. Die Nummer 1 ist nicht weit von der Wiesentquelle gelegen und die am einfachsten zu findende „Urwohnung“ überhaupt. Man muß nur zur Quelle gehen und sich umsehen. Schon sieht man in den Felsen dahinter einige Nischen, die gerade noch als solche erkennbar sind.

Oberhalb von Treunitz im Hang der Wiesent auf dem rechten Ufer befindet sich die „in jeder Hinsicht zu den interessantesten gehörige Höhlenwohnung“. Es handelt sich um das „Preussenloch“ und mehrere kleine Objekte gleich im Umkreis davon. Mehr darüber im 2. Teil.

Die letzte Seite dient der Bekanntmachung eines raffinierten Plagiatsvorgangs, dessen Opfer Engelhardt gleich nach Bekanntgabe seiner Ergebnisse geworden war. Davon später.

3.      Der Nebentext

Den Kern des Aufsatzes von Engelhardt bilden die „Urwohnungen“, die kleinen Aushöhlungen in einigen Felsen im Aufseß- und Wiesenttal.

Engelhardt lebte von 1821 bis 1893 und war 19 Jahre lang Priester in Königsfeld, so steht es auf dem Grabstein für die ehemaligen Priester auf dem Friedhof. Er war sicherlich sehr geübt darin, auch allgemeinere Weisheiten und Sprüche zu verbreiten. Sie machen den Text besonders lesenswert, weil man sie aus der Ursprungssituation heraus oft überhaupt nicht erwartet und sich manchmal frägt, was sie hier überhaupt zu suchen haben.

·        Als Motto stellt er einen Ausspruch von Laplace an den Anfang: „Was wir wissen ist gering, aber was wir nicht wissen, ist unermesslich.“ Das zeigt eine vorsichtige Grundhaltung, weit weg von aller Arroganz und einem nur auf die „Bibel“ aufbauenden Verläßlichkeitsdenken. Von einem alles lenkenden „Gott“ ist da nicht die Rede.

·        „Das Erforschen der Vergangenheit, das Begreifen der Gegenwart, lässt die Zukunft errathen.“ Im Geschichtsunterricht der Schulen wird so eine Meinung gerne vertreten. Auch vom Religionsunterricht kennt man sie. Sie unterstellt die Kontinuität des Weltgeschehens und die Vorhersehbarkeit, heute gerne auch als Berechenbarkeit (Begann das nicht mit der Bestimmung der Sonnenfinsternisse?) gedacht. Sprünge im Verlauf, Auftauchen vollkommen neuer Dinge (Corona!) Zweifel an der Metapher der „Naturgesetze“[7] – das gibt es in solcher Weltsicht nicht.

·        Von den „Reisenden“, die in die Fränkische Schweiz kamen, scheint er nicht viel gehalten zu haben. Eigentlich sollten die „romantischen Täler“ sie „bis zum Ursprung der Wiesent und Aufsees locken“, allein „sie bleiben gewöhnlich in den Gasthäusern von Muggendorf und Streitberg sitzen und begnügen sich von Felsen, Forellen und etwas „Epheu“ auf der Rückkehr zu schwärmen.“

·        Auch der Geschmack des „modernen Bewohners“ dieser Welt hat seiner Meinung nach gelitten. Beispiel dafür ist, daß seinem „verzärtelten Gaumen“ die Elritze, eine häufig vorkommende Fischart in den Bächen der Fränkischen Schweiz, „nicht mehr recht mundet.“

·        Einen „erhöhten Standpunkt“ hält er immer für „etwas Stattlicheres, Sichereres“ und meint, daß diese Erkenntnis auch schon „die grossen Ahnen unseres Adels“ gehabt hätten, weil sie zur Ritterzeit „noch höher hinaufgebaut hätten“. Die Feudalzeit steckt Engelhardt noch in den Knochen, wo noch der „Stand“, den man einnahm, entscheidend für die Bedeutung eines Menschen war – Wehrstand – Lehrstand – Nährstand – „Pöbel“…

·        Eine Felsspitze, zu der „ein breiter ausgehauener Weg“ bei Voitmannsdorf hinaufführen soll, regt Engelhardt zu der Spekulation an, daß „auf demselben vielleicht zu gewissen Zeiten nach heidnischem Gebrauche Feuer angezündet worden“ sei. Wenn auch dort nichts zu sehen ist, hineinimaginiert wird es trotzdem.
In diesem Felsen befinde sich ein größerer Hohlraum, den er für Versammlungen geeignet hält - „augenscheinlich“ ist das Argument.

·        Die vergangene Zeit rekonstruiert er sehr bildhaft und gefühlvoll: „Es wird mir immer warm um das Herz, wenn ich bei meinen geistlichen „Functionen“ oder sonst hier sinnend mir die Jahrhunderte zurücksuche, vor welchen die damaligen Bewohner im Urzustande vielleicht von hier aus die geahnte Gottheit nach ihrer Weise ehrten und die Priesterinnen, Druidinnen das ewige Feuer unterhielten.“

·        Vom Preussenloch meint er, daß „afrikanische Einsiedler der ersten christlichen Zeit“ diese Wohnung „als eine königliche gepriesen“ hätten. Er schwärmt: „Die schlanken Fichten, das schöne Laubholz um sie herum, die Einsamkeit unter der muntern Tierwelt machen sie zum heimlichen Aufenthalt.“
Wahrscheinlich spricht Engelhardt die Einsiedler in der Thebais an. Dort gibt es am Ufer des Nils große künstliche Kammern, die durch den Steinabbau für die Pyramiden und die monumentalen Tempel entstanden sind. Dorthin zogen sich schon ab 300 nach Chr. zahlreiche Einsiedler zurück und lebten in selbstgewählter Einsamkeit – die sog. „Wüstenväter“[8]. Manchem mag das als ideales Modell für sein Leben erscheinen, aber nach Engelhardts Dafürhalten scheint auch hier die neuere Menschheit hinter deren „Höchstleistungen“ nur zurückzubleiben: „Freilich finden sich zurzeit nicht mehr die Seelen, die allein nur mit Gott lebend diese Einsamkeit vertragen können.“

·        Wie hat man früher gelebt? Hinterlassen wir Menschen wirklich bleibende Spuren, die sicherstellen, daß Nach-uns-Kommende ein zutreffendes Bild unserer Lebensweise später „malen“ können? Oder ist nicht alles immer Konstruktion, Projektion, Spekulation? Engelhardt jedenfalls versetzt sich in Gedanken zurück in die vergangene Zeit und sieht die „Menschen unter Kampf um Nahrung und mit wilden Thieren mit den einfachsten Handwerks-Instrumenten ihre Jugend, Ehe und ihr Alter verleben“. Wo wir heute eher von Kindheit als erster Phase des Lebens sprechen, heißt es da „Jugend“, und von „Erwachsenen“, wo bei ihm „Ehe“ steht. Eine Pluralität der Lebensentwürfe war noch nicht vorgesehen.

·        Zwischen den Anfängen und 1867 liegt ein weiter Weg hinter der Menschheit. Der „Fortschritt der Kultur, der Wissenschaft und der Kunst“ unterscheide uns von unseren Vorangegangenen erheblich. Engelhardt sieht ihn dokumentiert in der Pariser Weltausstellung 1867, „dem Glanzpunkte der Kulturgeschichte“[9].
Durch den Fortschritt der Kultur seien dem Menschen „so viele Bedürfnisse erwachsen, dass deren Befriedigung auch dessen ganze Thätigkeit in Anspruch“ nehme. Alle Maschinen der Welt könnten den Luxus nicht mehr befriedigen, „den ein verweichlichtes, übersättigtes Volk“ bedürfe. Eine starke Distanz zeigt sich hier und auch ein begründeter Pessimismus bezüglich der Weiterentwicklung: „Dass zur Zeit die ganze Welt sich abmüht, Zerstörungswerkzeuge zu erfinden, ist der klarste Beweis, dass Alles wieder zerstört werden wird.“
Weise Worte, denn schon 2 Jahre später erklärte Frankreich Preussen den Krieg. Mit Hilfe auch der Kruppschen Kanonen, die der Öffentlichkeit auf der Weltausstellung erstmals gezeigt worden waren, und die sich als dem französischen Militärgerät hoch überlegen herausstellten, wurde binnen kurzer Zeit Frankreich erobert und das Deutsche Reich am Ende im Spiegelsaal von Versailles aus der Taufe gehoben.

·        Vor dem Preussenloche, „dieser Urwohnung“, erklärt er ganz pathetisch: „Ich spreche es aus, dass der sogenannte Beruf Preussens, resp. dessen Machtgier nicht wenige Schuld an dem allgemeinen Weltenbrande und dessen Folgen hat.“
1757 war man ja schon einmal in die Höhle vor den Preussen geflüchtet. 1866 hatte Bayern an der Seite Österreichs gegen Preussen gekämpft. In der Schlacht von Königgrätz hatte man mitverloren, und seither mußte Bayern in einem „Schutz- und Trutzbündnis“ sich dem Norddeutschen Bund und damit Bismarcks Willen einordnen. Ludwig II hielt dem Druck nicht stand. Bald war es dann vorbei mit der Selbstständigkeit Bayerns.
„Preussen“ war für viele ein Nachbar, der vielen nicht als Freund, sondern eher als Feind vorkam. Der Zusammenschluß zum „Deutschen Reich“ war noch nicht vollzogen, künftig unter einer „neuen deutschen Kaiserkrone“ leben zu müssen, erschien so manchem nicht attraktiv: „Die Kaiserkrone..nur die vergrößerte Pickelhaube“[10], „Mehr Kriege, mehr Krüppel, mehr Totenlisten und mehr Steuerzettel“, so bilanzierte Johann Baptist Sigl in der Zeitschrift „Das bayerische Vaterland“ die Aussichten.

·        In dem Satz „Licht versprecht ihr euch von der Zukunft, Finsternis ist nur, ihr Kultur, Barbarei ich, ach, wie irrt ich so gern.“ – ein Spruch von W. Weinhold. Hier ist die Lichtmetapher angesprochen, schon in der Aufklärung strapaziert, und wohl mit der Erfindung und immer größeren Verbreitung des elektrischen Lichts allgemein spürbar. Mehr Licht?

·        Bei der Felswohnung Nr. 11 ganz in der Nähe des Preussenlochs machte sich Engelhardt Gedanken, ob die Höhlen nur als Wohn- und nicht auch als Begräbnisstätte gedient haben könnten. Als Beispiele dafür dienen ihm die Felsbegräbnisstätten des ganzen Niltals, die Felsengrotte in Bethlehem und solche zwischen Jerusalem und Bethlehem.
Dann macht er einen Sprung und diskutiert die Verhältnisse in der Höhle von Aurignac am Nordrand der Pyrenäen in diesem Zusammenhang. Er hält es aufgrund der Fundsituation als gesichert, daß die Höhle erst als Wohnplatz, dann als Begräbnisplatz verwendet wurde, die „Unter(.?)agegeschichte der menschlichen Knochen…mit Knochen lebender und ausgestorbener Thiere und anderen Kunsterzeugnissen angefüllt, kann sich nicht durch einige Todtenmahlzeiten gebildet haben.“

 

4.      Der „Höhlenmensch“

Wer in der Bibel nachschaut, um etwas über den Anfang der Menschheit zu erfahren, der stößt zuerst auf Adam, dann Eva, die „Rippenentsproßene“, und dann? Vom Frühmenschen und seinen Lebensumständen erfahren wir nichts und daß er in Höhlen gelebt hätte, davon steht da auch nichts. Und daß er mit Elefanten, Nashörnern und Höhlenbären sich den Lebensraum teilen mußte, schon zweimal nicht.

Zu „fabelhaften Muthmassungen über das Alter des Menschengeschlechts“ hätten die ersten „menschlichen Kunsterzeugnisse“ (Steinäxte, Thongeschirrtrümmer, Pfeilspitzen, Beinnadeln, Feuersteinmesser) Anlass gegeben, die zusammen mit „Ueberresten…ausgestorbener Thiere“ von den „Gelehrten“ gefunden worden seien, so Engelhardt. Da es keine schriftliche Überlieferung gäbe, würden uns alle „Nachrichten“ von diesen „Ureinwohnern“ fehlen.

„Große Vorsicht und Reinlichkeit“ bescheinigt er ihnen, da sich bei ihren Wohnstätten, den kleinen Höhlen und Felsdächern, „noch heute eine Quelle trinkbaren Wassers befindet“. Der „lauernde Jäger“ sei erhöht gestanden und seine sicheren Pfeile hätten ihm auf lange Zeit Nahrung verschafft“. Aus der Masse von gefundenen Pfeilwerkzeugen habe er „mit Sicherheit“ geschossen, da es sich da um eine „Erwerbsquelle“ gehandelt hätte.

 

Was nicht durch handfeste Funde belegt wird, das muß man sich mit der eigenen Vorstellungskraft ausmalen. Bei Engelhardt heißt es so: „Versetzt man sich in die Zeit, wo hier Menschen unter Kampf um Nahrung und mit wilden Thieren mit den einfachsten Handwerks-Instrumenten ihre Jugend, Ehe und ihr Alter verleben, so..“ Es gibt ja typischerweise zwei Vorstellungen vom Anfang der Menschheit: das Paradies und den Kampfplatz. Für die einen geht es immer eher bergab, die anderen preisen den „Fortschritt“ und haben Hoffnung auf Besserung.


Keine Spur ist in dem Text von Engelhardt von irgendwelchen kannibalistischen Vorstellungen in Bezug auf unsere Vorfahren zu finden. Da gab es gleichzeitig ganz andere, wild rassistische Meinungen schon[11], die offenbar noch nicht bis in die nördliche Fränkische Schweiz vorgedrungen waren.

5.Zusammenschau

Engelhardts Arbeit ist ein bemerkenswertes Zeugnis dafür, wie wir Menschen uns Weltbilder zusammenbasteln. Aus einer Vielzahl von Quellen holt man sich Elemente und verknüpft sie dann miteinander. Über die Qualität des Ergebnisses bildet sich dann auch die Nachwelt ihr Bild – das sich im Laufe der Zeit immer wieder ändert, zumindest wenn man später überhaupt noch wahrgenommen wird von den Nachkommen.

Wie einfach war das doch früher. Da gab es ein Buch, die Bibel, da stand alles drin – wenn es auch lange Zeit hindurch die meisten gar nicht selber lesen konnten, weil es in lateinischer Sprache geschrieben war. Erst Martin Luther hat es z.B. in die deutsche Sprache übertragen und durchbrach damit bei uns die Barriere. Aber alle „Übersetzungen“ haben ein großes Problem: Sie sind nie eindeutig. Da kommen andere und übersetzen die Wörter, die Zusammenhänge, den „Sinn“ ganz anders. Und wer vermöchte zu sagen, es gäbe nur „einen“?

Dort fanden sich dann die großen Antworten: Woher kommt die Welt? Wie war das mit dem Anfang? Wie ging es weiter? Etwas vereinfacht gesagt ging die ganze Geschichte auf ein Blatt Papier. Gott – Schöpfung – 7 Tage – am Ende der Mensch – alles wurde mit der Sintflut weitestgehend bis auf Noah mit „Weib“  und die Tiere wieder gelöscht, modern gesagt, die „RESET-TASTE“ gedrückt – nach Rückzug des Wassers begann alles ziemlich wieder von vorne.

Einen ersten empfindlichen Schlag bekamen die dominanten Antworten der christlichen Religion in der Zeit von Galilei, Kepler und Kopernikus. Es drehte sich auf einmal nicht mehr alles um die Erde. Den zweiten Schubs bekam das oft als „Krone der Schöpfung“ sich selbst stilisierende Wesen, vereinfacht gesagt, durch Darwin, der den Menschen nicht durch einen einzigen Schöpfungsakt in die Welt gekommenen sah. Seine heutige Gestalt sei die Frucht von Selektionsprozessen, meist als „Evolution“ bezeichnet, und, was heute nur selten erwähnt wird, aber sehr wichtig ist, „durch die geschlechtliche Zuchtwahl der Partnersuche“ [12](„Sexuelle Selektion“ – Reichholf), andere habe das direkter formuliert: „wen die Frauen ran lassen“[13]. Auch dieses Wesen bekam nun eine Historie. Das hatten früher andere sich auch schon gedacht, aber viele teilten lieber die Einschätzung eines englischen Erzbischofs aus Cambridge, der den Weltanfang auf 4004 v. Chr verlegt hatte.

Besonders verwirrend war, als man die Knochen längst ausgestorbener Tiere zusammen mit Spuren von Menschen fand. Die Sintflutheorie kam ins Wanken, ob es das „Diluvium“ wirklich gegeben hatte, das glaubten immer weniger Menschen. Cuvier lancierte die Idee von den „Katastrophen“ und zwar nicht nur einer. Aus der Schweiz tauchte die Idee von den „Eiszeiten“ auf, die lange Zeit nur auf Ablehnung und Lächerlichmachung bei den „Fachgelehrten“ stieß[14].

Nun hieß es, sich auf einmal mit Ausdrücken wie „anti[15]- und postdiluvianischen Verhältnissen“ und „nachpliocener Zeit“[16] auseinander zu setzen. Im Text von Engelhardt finden wir jedenfalls diese Ausdrücke. Näher erklärt sind sie dort nicht.

Bemerkenswert ist schon, daß Engelhardt sich ausschließlich auf die Höhle von Aurignac[17] bezieht. Dabei waren 1868 schon eine wirklich nennenswerte Anzahl anderer Höhlenfundstellen untersucht worden.
 
Von der ja ganz in seiner der Nähe liegenden Zoolithenhöhle ist überhaupt keine Rede, genauso wenig vom „Kuhloch“, das ja für den Besuch von König Ludwig I im Jahre 1830 radikal umgestaltet worden war, ohne jede Rücksicht auf irgendwelche Relikte aus der Vergangenheit, und man in König-Ludwig-Höhle umbenannt hatte.

In England hatte schon 1821 Buckland in der Kirkdale Cave bedeutsame Untersuchungen angestellt, 2 Jahre später in der Goat’s Cave das erste menschliche Skelett, die „Red Lady of Paviland“, ausgegraben, 1833 machte von Schmeling in der Engishöhle im Maastal wichtige Funde, die aber von der Fachwelt zurückgewiesen wurden. 1856 war das Jahr der berühmt gewordenen Funde im Neandertal, 1860 beginnen die Grabungen von Lartet und Christy an der Vezère mit ihren grandiosen Fundstellen wie Le Moustier und Laugerie Haute und Basse. Im Lonetal fängt Fraas mit den Grabungen im Stadel an und setzt sie mit der Bärenhöhle fort. 1868 schließlich wird beim Bau der Bahnstrecke im Vézèretal der Abri von Cro Magnon angefahren und ausgegraben. 5 komplette Skelette wurden gefunden und lieferten den Namen für unseren modernen Menschentyp[18]. Die Fachwelt lehnte die Erkenntnisse weiter ab.

Die dominante Weltsicht war eine andere. Das Bewußtsein vieler Menschen wurde von den überlieferten Anschauungen weiter geprägt. Damals gab es kein Internet, wo man einfach ein Stichwort bei Google eingibt und schaut, was das Gerät gerade auswirft. Von der Kanzel wurde weiterhin erzählt, was man immer schon gesagt hatte, in den Schulen, wenn es schon überhaupt eine Gelegenheit zum Besuch einer solchen gab, wurde weiter das verbreitet, was man halt gerade für opportun hielt – da hat sich nichts geändert.

Noch 1876 heißt es in „Die Höhlen und die Ureinwohner Europas“ von W. Boyd Dawkins: „Menschliche Ueberreste, denen man mit Sicherheit ein höheres als pleistocänes[19] Alter zuschreiben könnte, hat man bis jetzt in keinem Theil von Europa gefunden.“[20] Die Alters- und die Herkunftsfrage des Menschen waren zwar gestellt, aber nicht wirklich beantwortet.

Engelhardt prüfte die „Theorie“ und ging in die Praxis. Das Ausgraben sollte in erster Linie Funde erbringen, was ja auch der Fall war. Sie wurden dokumentiert und als zeichnerische Wiedergaben in Form von Lithographien der Publikation beigefügt (Leider findet sich nirgends ein Hinweis, wer der Künstler war). Wo sind übrigens die Funde geblieben?[21]

Was haben „wir“ daraus gelernt? Daß Menschen sich dort, wo sie sich aufhalten, versuchen zu leben, oft halt nur überleben? Daß sie alles nehmen, was da ist, und zurücklassen, was sie nicht mehr brauchen? Daß jeder, der es sich leisten kann, lieber heute in einem Haus wohnt, andere können sich gar eine Burg oder ein Schloß hinstellen, andere nicht – und die Hackordnung geht bis ganz nach unten. Die Untersten ziehen dann wieder „ins Loch“, die „Zigeuner“, die es heute schon allein vom Wort her gar nicht mehr gibt, zum Beispiel. Heute ist das auch nicht mehr selbstverständlich. Da käme der „Naturschutz“ und vertriebe sie wieder – schließlich gibt es ja schon die „Obdachlosenheime“, „Frauenhäuser“ usw.  – die die Fledermäuse blieben dann bei ihrem Winterschlaf in Höhlen und Kellern, wenn sie nicht von ihren natürlichen Freßfeinden verschlungen werden, etwas ungestörter.

6.      Der Nachhall von Engelhardts Arbeit

Daß es auf dieser Welt nicht immer harmonisch zugeht, sondern daß man auch damals schon die Ellenbogen benützte, das erlebte Engelhardt gleich nach der Erstvorstellung seiner Arbeit bei der „Naturforschenden Gesellschaft“ in Bamberg. Ein „Bezirksgerichts-Rath Dr. B. Elmer“ geht die Gesellschaft noch vor der Erstpublikation um eine Überlassung des Manuskripts „zum Durchlesen“ an und frägt, ob er eine „einstweilige Notiz“ über den Vortrag an eine wissenschaftliche Zeitschrift geben dürfe. Tatsächlich veröffentlichte Ellmer dann einen ganz ausführlichen Aufsatz über die Forschungen von Engelhardt in der Zeitschrift „Gaea 1869 I“ unter seinem Namen und Auszüge daraus in zwei anderen süddeutschen Zeitschriften. Die Veröffentlichung des Originalaufsatzes war dann schon „unter der Presse veraltet“, so der enttäuschte Engelhardt.

Die Zeitvorstellungen müssen noch ganz andere als heutzutage gewesen sein. Ellmer spricht von „unvordenklicher Zeit“, als, wie die Forschungen Engelhardts gezeigt hätten, „menschlicher Kunstfleiß dort thätig gewesen sei“. Nun könne man „die Kulturgeschichte der Gegend um mehrere tausend Jahre früher beginnen lassen.[22]

1872 machte sich F. Sandberger aus Würzburg in der „Uebersicht über die prähistorischen Ueberreste Unterfrankens“ Gedanken über die Vergangenheit in dieser Region. Er vergißt dabei nicht, auf Oberfranken hinzuweisen, wo „die älteste Periode der Steinzeit, welche in den Höhlen Oberfrankens an vielen Stellen nachgewiesen ist und zu deren Kenntnis Hr. Pfarrer Engelhardt in Königsfeld einen besonders wichtigen Beitrag geliefert hat, die der roh aus Feuersteinen gesplitterten oder aus Thierknochen hergestellten Waffen und Geräthe“[23]…In Unterfranken seien sie nur durch zwei Funde vertreten. „Die älteste Periode der Steinzeit“? „Nachweis an vielen Stellen“? Später geboren zu sein und über die Ansichten früher Geborener zu richten – eine scheinbar leichte Sache, aber was werden einmal die nach uns kommen, wenn sie noch kommen, über uns denken?

In seinem Aufsatz „Die anthropologische Bedeutung der Funde in fränkischen Höhlen“ von Prof. Dr. K. Kittel aus dem Jahre 1879 wird auch die Arbeit Engelhardt erwähnt. Die Forschung in Franken war ja durch die bedeutenden Entdeckungen in Frankreich, England und Belgien angestoßen, eigentlich ja nur wieder angeflammt worden, nachdem Esper, Rosenmüller und Goldfuß schon mehr als ein halbes Jahrhundert vorher den Landstrich um Muggendorf zum paläontologischen Brennpunkt der akademischen Welt gemacht hatten. Den „Ueberresten menschlicher Thätigkeit“, den Topfscherben, der Asche, den zertrümmerten Knochen, die von Gümbel und Engelhardt gefunden worden waren, weist Zittel nur ein „geringes Alter“ zu. Von den gefundenen Steinwerkzeugen, „auch rohe“, könne man nicht behaupten, „dass diese Höhlen bis in die eigentliche Steinzeit zurückzudatieren seien.“

Prof. Dr. Johannes Ranke hat in seinem Beitrag über den „Stand der anthropologischen Höhlenforschung in Bayern bis zum Jahre 1876“ Engelhardt aufgeführt. Die gemachten Funde seien „Zeugen einer uralten, primitiven Cultur, theils in Gräbern, theils in Grotten und Höhlen“[24], gefunden.

1891 vergißt C.W. v. Gümbel in seinem epochalen Werk über die Geologie Bayerns nicht, Engelhardt zu nennen. „Auch Engelhardt entdeckte in Halbhöhlen bei Königsfeld bearbeitete Feuersteine und Knochen neben Scherben von rohen Thongefässen“[25] Mit dieser knappen Formulierung wird nicht deutlich, daß es zwischen ihm und Engelhardt durchaus persönliche Kontakte gegeben hatte.

In der Beschreibung der Historie der Höhlen in der Fränkischen Schweiz führt Neischl 1905 auch die Arbeit von Engelhardt an.[26]

Schaaf erwähnt Engelhardt in seiner „Geschichte der Höhlenforschung in Franken“ 1988. Der habe sich „muthig an das Ausgraben“ der von ihm als „Urwohnungen erkannten Höhlen“ in der nördlichen Frankenalb gemacht.

In einer „Schautafel über in der Fränkischen Schweiz ehemals aktiven, bedeutenden Höhlenforschern des 18. – 20. Jahrhunderts“ taucht auch Engelhardt auf (23-98) zwischen Wilhelm Gottlob Rosenhauer (13-81) und C.W. von Gümbel (23-98).

In der Vorstellung des Karstgebiets C Hollfeld, erstellt 2004 vom „Katasterteam“, in dem ja die Höhlen im oberen Aufseß- und Wiesenttal auch gehören, fehlt jeder Hinweis auf Engelhardt. Im Literaturverzeichnis einer 2020 erschienenen Arbeit von Bernhard Häck über „Speläoarchäologie – Eiszeitkunst und Höhlenfundplätze in Bayern im Lichte neuer Forschungen“ wird man den Namen Engelhardt vergebens suchen.

Er scheint aus dem Fokus der heutigen Höhlenforschergeneration gerutscht.

Von unvergänglichem Wert sind sicherlich die der Arbeit beigefügten Lithographien, die den Text illustrieren[27], vor allem die, die die Eingänge zu den „Urwohnungen“ zeigen, die ja eher dem Bereich der Kunst zurechnen sind.

Deren „Wert“ scheint mir mit zunehmendem Alter zu steigen, während all das „Wissen“, das da zusammengetragen worden war, immer mehr verwässert.

 



[1] Sloterdijk, Den Himmel zum Sprechen bringen, Berlin 2020, S. 178

[2] Engelhardt, Joh. (1868): Urwohnungen und Funde aus der Steinzeit in den beiden Thälern der Aufsees und Wiesent im Bezirke der Pfarrei Königsfeld, https://www.zobodat.at/pdf/Bericht-Naturforsch-Ges-Bamberg_8_0055-0091.pdf

[3] Der Begriff „Steinzeit“ wurde wohl erstmals 1835 von Danneils verwendet. Kurze Zeit später traten die dänischen Gelehrten C.J. Thomson und S. Nilson an die Öffentlichkeit, nach Sichtung viele archäologischer Funde in Skandinavien, und unterteilten die Frühzeit der Menschheit in Stein-, Bronze- und Eisenzeit. Ob das so richtig, darüber sind sich die „Experten“ auch nicht einig.

[4] Vico, scienza nuova, 135

[5] Lyell, Charles: Geologie oder Entwicklungsgeschichte der Erde und ihrer Bewohner. Nach der fünften Auflage des Originals vom Verfasser umgearbeitet. Die Uebersetzung durchgesehen und eingeführt von Bernhard Cotta, 2. Bände, Berlin 1857

[6] Zur Frage der Wohnnutzung von Höhlen siehe auch Kyrle, Theoretische Speläologie, S. 296f.

[7] Weidner, Jenseits des Westens, S. 212

[8] Hermann Hesse hat ein eindrückliches und lesenswertes Werk verfaßt, in dem es um zwei Einsiedler in der Thebais geht: Hesse, Hermann, Drei Legenden aus der Thebais, in: Das Erzählerische Werk 9, Suhrkamp Verlag, 1. Auflage, Berlin 2012

 

[9] Die Weltausstellung fand vom 1. April – 3. November 1867 auf dem Champ de Mars statt. 32 Länder beteiligten sich mit insgesamt 52.200 Ausstellern. Neuheiten waren vor allem ein hydraulischer Fahrstuhl, die Anilinfarben, der Stahlbeton, die Kanonen der Firma Krupp und das Velociped. Erstmals waren paläolithische Kunstwerke ausgestellt, die Lartet im Vézèregebiet ergraben hatte, und erregten großes Interesse .Berühmte Besucher waren Christian Andersen, Mark Twain, Jules Verne, der russische Zar und der bayerische König Ludwig II.

[10] Kratzer, Redeschlacht R10

[11] Siehe: W.F.A. Zimmermann, Der Mensch, die Räthsel und Wunder seiner Natur, Ursprung und Urgeschichte seines Geschlechts, Berlin 1864

[12] Precht, Künstliche Intelligenz 94

[13] Reichholf, Josef H., Der Ursprung der Schönheit 89, Precht, Künstliche Intelligenz 93f.

[14] Bolles, Edmund Blair (2003): Eiszeit : wie ein Professor, ein Politiker und ein Dichter das ewige Eis entdeckten

[15] Korrekt wäre wohl „ante“ (vor) nicht „anti (gegen)

[16] Der Ausdruck wurde von Lyell 1847 geprägt (von griechisch „mehr“ und „neu, ungewöhnlich“. Er schlug ihn zur Unterteilung des Tertiärs vor.

[17] Sie wurde 1852 von einem Jäger entdeckt, wobei man auf 17 Skelette stieß, und ab 1860 von Lartet ausgegraben wurde. Länge 10 m.

[18] 1865 schlug Lubbock bereits eine Differenzierung der Steinzeit in zwei Zeiten vor und prägte dazu die Begriffe „Paleolithic“ und Neolithic“.

[19] Pleistocän: „Das Pleistozän (altgriechisch πλεῖστος pleistos „am meisten“ und καινός kainos „neu“) ist ein Zeitabschnitt in der Erdgeschichte. Es begann vor etwa 2,588 Millionen Jahren und endete vor etwa 11.700 Jahren (BP) mit dem Beginn der Holozän-Serie, der Jetztzeit.“ WIKIPEDIA

[20] Dawkins, Die Höhlen 336

[21] Einen kleinen Hinweis darauf gibt es bei Zittel 1871: „Was sich in einer nach München gelangten Probesendung befand, gehörte nach einer freundlichen Mitteilung Gümbel’s ausschließlich recenten Thieren an und zeichnete sich durch vollkommen frische Erhaltung aus.“ S. 326

[22] Ellmer, Der Mensch der Urzeit 33

[23] Sandberger, Uebersicht 74

[24] Achter Bericht der naturforschenden Versammlung 1868, S. 55

[25] Gümbel, Geognostische Beschreibung 490

[26] Durch diesen Hinweis begann ich mich überhaupt erst für Engelhardt zu interessiern.

[27] Leider erfährt man nichts von deren Entstehung. Auf einigen ist „Lith. J. Rössert Bamberg“[27] zu lesen. Die Eingänge sind besonders betont, in dem sie besonders dunkel dargestellt sind. Vergleicht man die dargestellten Lagesituationen mit den Verhältnissen heute, dann lassen sich einige Übereinstimmungen feststellen, aber es gibt auch viele Abweichungen, die ja besonders unsere Aufmerksamkeit erheischen, weil man sieht, wie sich die Welt ändert, mal langsam, mal schnell – nichts bleibt so wie es gerade ist.

 


[1] Engelhardt, Joh. (1868): Urwohnungen und Funde aus der Steinzeit in den beiden Thälern der Aufsees und Wiesent im Bezirke der Pfarrei Königsfeld, https://www.zobodat.at/pdf/Bericht-Naturforsch-Ges-Bamberg_8_0055-0091.pdf

[2] Der Begriff „Steinzeit“ wurde wohl erstmals 1835 von Danneils verwendet. Kurze Zeit später traten die dänischen Gelehrten C.J. Thomson und S. Nilson an die Öffentlichkeit, nach Sichtung viele archäologischer Funde in Skandinavien, und unterteilten die Frühzeit der Menschheit in Stein-, Bronze- und Eisenzeit. Ob das so richtig, darüber sind sich die „Experten“ auch nicht einig.


 

  Voitmannsdorf   
     

Preussenloch

Eine Höhle aus dem Engelhardtschen "Universum" mußte ich sehr lange suchen, Hinterher scheint alles so einfach. Die "Urwohnungen 1 und 2" habe ich lange gesucht und nie gefunden. Am Ende dann doch. Die wichtigste Hilfe lieferte mir Renate Illmann, die schon 20 Jahre vorher dort gewesen war, aber keine Ahnung davon gehabt hatte, daß die kleinen Löcher dort eine speläohistorische Bedeutung gehabt haben. Wir machten im Dezember 2022 eine Tour dorthin, suchten erst einmal die ganze Gegend ab mangels genauer Kenntnisse und standen am Ende doch vor den Objekten: eine "nicht unbedeutende Erdhöhle mit ziemlich grossem rundem Eingang 10' lang..." und so weiter. Jeder kann Engelhardts Beschreibung im Internet nachlesen. Wohnung 1 könne 15 Personen, 2 für 8 Personen Platz bieten. Wer selbst einmal dort gewesen ist, dem erschließt sich der ganze Unsinn der Engelhardtschen Ideen. Ich glaube nicht, daß die Höhlen inzwischen so geschrumpft sind, daß die alten Angaben nicht mehr stimmen oder die Menschen so gewachsen, daß die Maße einfach nicht mehr hinhauen. Wohnen ist einfach auch mehr, als sich einfach nur hineinstellen und unterstellen zu können. Wohnen, Leben braucht Raum - und der ist da auch beim besten Willen kaum vorhanden. 


Literatur:

Adam, Karl Dietrich Anfänge urgeschichtlichen Forschens in Südwestdeutschland, S. 21ff.
Bärfuss, Lukas Vaters Kiste - Eine Geschichte über das Erben, Rowohlt, Hamburg, 3. Auflage 2023
Botta, Mario, Interview mit Fulvio Irace Die Avantgarden sind die Komplizen des schnellen Konsums und des Konsumrausches, DU Mai/Juni 2021, S.14ff.
Buckland, William Geologie und Mineralogie in Beziehung zur natürlichen Theologie. (Aus dem Englischen, nach der zweiten Ausgabe des Originals übersetzt und mit Anmerkungen und Zusätzen versehen von L. Agassiz). 2 Bände. Neuchâtel (Petitpierre) 1839. Band 1: S. XII, 1–664. Band 2: Text zu 88 Tafeln
Ellner, B. (1869) Der Mensch der Urzeit in Oberfranken, Gaea, p. 33ff.
Engelhardt, Joh. (1868) Urwohnungen und Funde aus der Steinzeit, Bericht der naturforschenden Gesellschaft Bamberg – S: 55 - 91
https://www.zobodat.at/pdf/Bericht-Naturforsch-Ges-Bamberg_8_0055-0091.pdf
Gümbel, C.W. von (1865) Untersuchungen über die ältesten Kulturüberreste im nördlichen Bayern in Bezug auf ihre Uebereinstimmung unter sich und mit den Pfahlbauten-Gegenständen der Schweiz, Sitz.Ber.kgl.bayer.Akad.Wiss, math.-phys. Cl., I, 66-103, München
Gümbel, C.W. (1891) Geognostische Beschreibung des Königreichs Bayern, Vierte Abtheilung Geognostische Beschreibung der Fränkischen Alb (Frankenjura), Verlag von Theodor Fischer, Kassel
Lindenmayr, Franz (2021)  Johann Engelhardt "Urwohnungen und Funde..." - ein Höhlentext aus dem Jahre 1868, Teil 1: Der Text im Kontext, Der Fränkische Höhlenspiegel 64, S. 90-97
Lindenmayr, Franz (2022) Johann Engelhardt "Urwohnungen und Funde..." - ein Höhlentext aus dem Jahre 1868, Teil 2: Der Text in der Praxis, unveröffentlichtes Manuskript
Lohrke, B.  Neue und alte Ausgrabungen in Voitmannsdorf. In: R.Hofmann/Th. Peek (Hrsg.), Ötzi – sein Leben, seine Zeit. Oberfranken am Ende der Jungsteinzeit. Begleitheft zur Sonderausstellung imFränkische Schweiz-Museum Tüchersfeld (Tüchersfeld 2002), 41-4
Lyell, Charles (1863) Lyell, Geological evidences of the antiquity of man, London 1830-33
https://www.cambridge.org/core/books/geological-evidences-of-the-antiquity-of-man/CAA85E3705E250BEB98BED551DFA984C
 
Lyell, Charles (1857) Lyell, Charles: Geologie oder Entwickelungsgeschichte der Erde und ihrer Bewohner. Nach der fünften Auflage des Originals vom Verfasser umgearbeitet. Die Uebersetzung durchgesehen und eingeführt von Bernhard Cotta, 2. Bände, Berlin
Mortillet, G. de  Promenades préhistoriques à l’Exposition universelle. Matériaux pour l’histoire positive et philosophique de l’homme, Paris Jg. 1867
Neischl, Adalbert (1904) Die Höhlen der Fränkischen Schweiz und ihre Bedeutung für die Entstehung der dortigen Täler, Schrag, Nürnberg
Pollack, Susan (2020 Archäologie. Zeugenschaft und Counter Forensics, in: Archäologie der Moderne. Standpunkte und Perspektiven., hrsg. von Fritz Jürgens und Ulrich Müller, Bonn
Ranke, Prof. Dr. Johannes (1879) Das Zwergloch und Hasenloch bei Pottenstein in Oberfranken, Übersicht über den Stand der anthropologischen Höhlenforschung in Bayern bis zum Jahre 1876, Beiträge zur Anthropologie und Urgeschichte Bayerns, Band 2, München
Scheidler, Fabian Der Stoff aus dem wir sind - Warum wir Natur und Gesellschaft neu denken müssen, piper, München 2021
Stangneth, Bettina Sexkultur, Reinbek 2020
Stremmel, Jan Grüne Pille, SZ Nr. 105, 7./8. Mai 2022, S. 51
Urban, Josef Pfarrer Engelhardt von Königsfeld - Auf den Spuren der Ureinwohner, Hollfelder Blätter Nr. 4/1979, S. 77f.
Waters, Frank Book of the Hopi, New York 1963
Weiss, Marlene Wir Versager, Süddeutsche Zeitung Nr. 181, 9.8.2021, S. 4
Zelger, J. Frankens Ureinwohner und die Höhlen im Dolomite des fränkisch-pfälzischen Juragebirges, 
Zittel, Prof. Dr.(1879) Die anthropologische Bedeutng der Funde in fränkischen Höhlen, in: Beiträge zur Anthropologie und Urgeschichte Bayerns, Band 2, München

 

Links:

https://www.academia.edu/9828711/_2008_Hrsg._Menschen_der_Eiszeit_Jäger_Handwerker_Künstler._Fürth_Praehistorika_

https://www.fraenkische-schweiz.com/de/touren/detail/58955b3b975a80faab99bf96

http://www.koenigsfeld-oberfranken.de/Startseite.aspx

https://einhornhoehle.de/Forsch/kunde.htm

https://www.dhm.de/lemo/jahreschronik/1868

http://www.jungsteinsite.uni-kiel.de/pdf/2004_mueller.pdf

Fränkische Alb - Landschaft und Höhlen der ...n Alb

 


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