Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle
Jenolan Caves, New South Wales, Australien
In einem isolierten Kalkvorkommen von 9 km Länge und einer Breite von nur 300 m liegt eines der bedeutendsten Höhlengebiete Australiens, Jenolan (in der Sprache der Aborigines: Hoher Berg). 175 km westlich von Sydney liegt es, nahe des Hauptkammes der Great Dividing Range.
Das Kalkgestein hat ein sehr hohes Alter und stammt aus dem Silur, wurde also ungefähr vor 430 Millionen Jahren auf dem Meeresgrund abgelagert. Es bildet einen Felskamm, der wie eine natürliche Talsperre für das Wasser des Jenolan Rivers wirkte, der danach dem Cox River zufließt. Es suchte sich an vielen Stellen einen Weg durch die Barriere und zurückgeblieben sind die gewaltigen Höhlen des Gebiets. Für das Gesamtsystem werden heute 20 km Gesamtganglänge angegeben.
Den Ureinwohnern waren die Höhlen immer schon
bekannt. Die Gundungurra benutzten hauptsächlich Felsüberhänge
als Aufenthaltsorte und drangen kaum in die Höhlen selber vor.
Mindestens einmal ist dies aber nachweislich passiert. In einer
Höhle, die mal Skeleton Cave hieß, heute "Pool of Cerberus
Cave", fand man die sterblichen Überreste eines
20-jährigen Aborigines. Vor 19.000 Jahren hat sich hier
Tragisches ereignet. Heute sind die Knochen am Fuß eines
Stalagmiten eingesintert. Eine Zeit lang waren sie eine
Attraktion auf der Schauhöhlenführung. Nach einer Intervention
des NSW Aboriginal Land Council stellte man diese
Zurschaustellung ein.
Für die Aborgines hieß das Gebiet "Binoomea", was
"Dunkle Orte" bedeutet. Eine Geschichte aus der sog.
"Traumzeit" rankt sich um sie. Zwischen den beiden
urzeitlichen Schöpfungsgeistern Gurangatch und Mirragan fand ein
langer Kampf statt. Gurangatch wurde als eine riesige
aalähnliche Kreatur, eine Inkarnation der Regenbogenschlange,
gesehen, und Mirragan als ein großer Quoll (Tüpfelbeutelmarder)
oder eine Tigerkatze. Gurangatch wird von Mirragan gejagt, der
sich in den Höhlen versteckt bzw. sich ausruht. Jeder von beiden
versucht sich am Ende als Sieger darzustellen.
Zwischen 1838 und 1841 kamen wohl erstmals weiße Siedler in das Gebiet und entdeckten die Höhleneingänge. Es gibt verschiedene Versionen der Entdeckungsgeschichte. Die populärste ist, daß der erste freie Siedler, Charles Whalan, auf der Suche nach einem entflohenen Sträfling, James Mckeown, der sich wohl durch Diebstähle am Leben hielt, auf dessen Versteck stieß. Es trägt heute den Namen Bushrangers Caves. Tage später sei man zurückgekommen, zusammen mit zwei Polizisten, und habe den Übeltäter im Grand Arch verhaftet. Angeblich wurde er verurteilt, deportiert auf die Norfolk Islands und kehrte später wieder zurück in sein Höhlenheim. Allerdings gibt es keine stichaltigen schriftlichen Nachweise mehr über diese Vorgänge, so daß wir heute nur raten können, was da früher tatsächlich passiert ist.
Der erste schriftliche Nachweis über die Höhlen stammt aus dem Jahre 1848, ein Bericht über eine Tour in die Höhlen und über die Entdeckung der Elder (Hollunder) Cave. Man bewegte sich auf einem Ast bis zum Stamm und an diesem bis hinab auf den Boden des Eingangsschachts. Weitere Höhlen wurden entdeckt, die Arch Cave durchquert, die Lucas Cave erforscht. Sie bekam ihren Namen von John Lucas, einem regelmäßigen Höhlenbesucher und Parlamentsmitglied, der sich sehr für den Schutz der Höhle einsetzte. Diese Bemühungen gipfelten 1866 in der Erklärung des gesamten Gebiets zum Naturreservat, was schon 5 Jahre vor der ersten Erklärung eines Gebietes dieser Erde als Nationalpark passierte.
1866 wurde der erste "Keeper of the
Caves" bestimmt, Jeremiah Wilson, der sich 30 Jahre um die
Höhlen kümmerte. Seine größten Forschungserfolge waren die
Entdeckung der Mammoth, Imperial, Chifley und Jubilee Caves.
Lange war es ein sehr aufwendiges Unternehmen, zu den Höhlen zu
gelangen. Zuerst kamen sie über Oberon, später, nachdem die
Eisenbahn 1868 bis Mt. Victoria fertig war, fuhren sie erst bis
dorthin, wurden dann in Kutschen über Hampton bis zum Gipfel des
Caves Hill gebracht. Von da waren es dann noch eine lange steile
Wegstrecke zu Fuß hinunter bis zu den Höhlen, die "five
mile" hieß. 1887 wurde eine Straße gebaut, die bis auf 1
km zum Grand Arch führte. Von Sydney her dauerte das immerhin 24
Stunden. Heutzutage, 2008, werden Bustouren von Sydney her
angeboten, die an einem Tag hin und zurück führen und
einschließlich des Besuchs von 2 Höhlen (Lucas + Orient Caves)
für 88 AUS-$ angeboten werden. Übernachteten die ersten
Besucher noch unter dem riesigen Portal des Grand Arch, so stand
ihnen ab 1898 das Cave House als gehobenere Unterkunft zur
Verfügung. Es gibt es auch heute noch, im wieder aufgebauten
Zustand, nachdem es schon einmal vollständig abgebrannt war. Es
wurde immer wieder modernisiert, aber im Kern hat es noch immer
ein sehr victorianisches Gepräge.
Heute wird die Zahl 250.000 genannt, wenn es darum geht, wieviele Menschen pro Jahr dorthin strömen, um eine der "Höhlen" zu besuchen. Die Pluralform ist eine große Besonderheit bei den Jenolan Caves. Normalerweise fährt man zu einer Höhle, egal, wie groß sie ist, und besucht sie in einer Führung zu einem wesentlichen Teil. Allenfalls gibt es dann noch eine Spezialführung, wo man auch noch in Regionen vordringt, die für den Normalbesucher nicht zugänglich sind. Man kann aber sicher sein, daß man die Kernteile gesehen hat. Hier ist das anders. 9 "Höhlen" werden einem angeboten und jeder Besucher hat dann die Aufgabe, sich das ihn Entsprechende auszusuchen. Jedem Marketingmann muß sich hier der Magen umdrehen. Und wohl auch vielen Normalmenschen. Wohin? Auch ich habe dem Mann an der Kasse im August 2008 die Frage gestellt, welche Höhlentour empfehlen würde für jemanden, der schon Hunderte von Schauhöhlen besucht hat, der nun wirklich weiß, was der Unterschied zwischen einem Stalaktiten und Stalagmiten aussieht usw.. Wo sind die "Naturwunder", die man wirklich nur hier sieht und nirgends wo anders? Einmal abgesehen davon, daß auch der kleinste Tropfstein auf dieser Welt ein Unikum ist. Das ist bei uns Menschen ja auch nicht anders - aber ich kann und will mir nicht "alles" "reinziehen". Goethe hat es klassisch geschrieben: "In der Beschränkung zeigt sich erst der wahre Meister." So ist es - auch angesichts der im Grunde nur künstlich produzierten Überfülle an Höhleneindrücken hier.
Ich bin im "Temple of Baal" und in der "Imperial Diamond Cave" gelandet. Die werden als "Jewels of Jenolan" vermarktet und die Zweihöhlentour kostete 31 AUS-$ pro Höhle. 2008 gab es drei Grundangebote: "Wonders of the Underworld", "Jewels of Jenolan" und "Magic of Jenolan". Der Kapitalismus hat hier voll zugeschlagen. Da gibt es "billige" Touren für 23 AUS-$ zum Beispiel, aber halt auch die Preisstaffeln nach oben: 31 bzw. 37. Das kostet dann einfach mehr, wenn man mehr Schönheit und "fragility" (Zerbrechlichkeit? / Leichtzerstörbarkeit?) in Kauf nimmt. Sehr bemerkenswert ist auch, daß man genau die Anzahl der Stufen genannt bekommt. Ich bin also 288 Stufen herunter und herauf im ToB gegangen, in der ID waren es "418 steps".
Wenn man, wie ich, schon so viele Schauhöhlen
angeschaut hat, dann hat man seinen ganz eigenen Blickwinkel
darauf. Schauhöhlen sind der Kompromiß zwischen dem
unbeschränkten Zugang, der heute häufig schnell katastrophal
für wirklich schöne Höhlen ist, und dem völligen Verschluß
der Höhlen, was deren Zubetonierung oder Wiederauffüllung
gleichkommt. Schauhöhlen sind das, was vor vielen Jahren Dr. R.
Willner in Wien mal als "Sehenswürdigkeit zwecks
Befriedigung bestimmter, die Schaulust anregender ideeller
Bedürfnisse" bezeichnete. Er schrieb dann noch,
"..selbst einmal empfinden zu können..die märchenhafte
Pracht der Tropfstein- und Eisbildungen zu schauen und dem Tosen
unterirdischer Ströme zu lauschen, wissenschaftlich interessante
Höhlenerscheinungen in der Natur betrachten zu können, oder
allenfalls auch den Drang nach touristischer Betätigung in
seltsamem Gelände zu befriedigen." Willner hat da sehr
treffend das Zusammenkommen von Mensch und Höhle auch bei den
Jenolan Caves beschrieben, natürlich mit einer Ausnahme: den
Eisbildungen.
Am meisten blieben mir die Ausführungen unseres Führers in
Erinnerung, der auch zu der Gruppe gehörte, die in den Annoncen
für die Höhle alle als "enthusiastic guides" für die
Besucher versprochen werden, der er auch war, wie die
Höhlenformationen im "Temple of Baal" im Grunde nur
noch künstliche Erscheinungsformen sind. 1904 wurde diese große
und mit vielen Tropfsteinen geschmückte Halle, vor allem mit dem
Angel's Wing (Engelsflügel) und den vielen Excentriques, schon
entdeckt. 1954 hatte man mit dem "Binoomea Cut" (in der
Sprache der Aborigines "Dunkles Loch"), einem
künstlichen Tunnel, die Orient Cave und den Temple of Baal
erschlossen. Eine Tür am Ende des Stollens führt nach rechts
zur Orient Cave, eine andere nach links zum Tempel. Viele viele
Menschen sind inzwischen dort gewesen und haben ihre Spuren
hinterlassen, auch wenn sie das gar nicht gewollt haben,
Haarschuppen, Hautteile, was auch immer. Wenn da Zehntausende von
Menschen jährlich durchgeschleust werden, dann sammelt sich das
als Belag auf den Höhlenwänden. Dann hat man sich mal der
herkuleischen Aufgabe gewidmet, die Wände wieder zu reinigen -
mit Reinigungsgeräten. Dazu wurde nicht irgendein Wasser
verwendet, sondern solches aus der Höhle. Wenn man heute durch
die Räume geht, kommt man sich vor, als wäre gerade
Entdeckungstag! Herrlich glänzend ist alles, völlig unberührt
wirkend - und halt ist doch alles kaum noch wirklich
"Natürlich", zumindest wenn man sich "Natur"
als den Bereich denkt, wo der "Mensch" noch nicht
unüberseh- und spürbar wirksam war.
Als Gratisgabe für jede Schauhöhlentour bekommt man einen Chip, der zum Besuch der "Nettle Cave" berechtigt, die unmittelbar an das "Devil's Coach House" anschließt. Warum diese zweite Riesendurchgangshöhle diesen Namen hat, das ist unterschiedlich niedergeschrieben. Jedenfalls handelt es sich um einen 57 m hohen steinernen Durchgang, auf der einen Seite in das McKeowns Valley auslaufend, auf der anderen zum Grand Arch führend. Bis 1932 war die Nettle Cave schon als Schauhöhle erschlossen, dann wurde sie aufgelassen. Seit dem Jahre 2006 ist sie wieder geöffnet. Man hat ein Drehtürsystem installiert, durch das man in die noch immer, trotz aller Beschädigungen des Tropfsteinschmucks, sehr attraktiven Höhle gelangt. Besonders hervorzuheben sind neben den atemberaubenden Blickwinkel in der extrem geräumigen Höhle die Stromatoliten, seltenen Versteinerungen, die inzwischen durch die Erosion aus den Felswänden wieder durch das Wirken der Natur herausgearbeitet worden sind.
Die touristische Vollausschlachtung der Höhle ist in vollem Gange. Wer lieber mal "adventure caving" machen möchte, dem kann auch geholfen werden. Da wird zum Beispiel eine Tour ins "Plug Hole" angeboten, wo man auch richtig kriechen darf. Und wem es gar nicht reicht, der kann ja mal abends zur "Mysteries, Legends & Ghost Tour" unterwegs sein. Da wird darauf Bezug genommen, daß einige Leute sich gar nicht mehr von den Höhlen lösen können. Ihre Seele sei schon zu Lebzeiten von der Höhle in Beschlag genommen worden, nach deren Tod sei sie nun endgültig zurückgekehrt. Viele viele seltsame Ereignisse hätten sich in und um die Höhlen zugetragen und davon erhalten die maximal 20 Besucher der zweistündigen Tour nun Kenntnis. Eine Miss Chrisholm habe sich zum Beispiel immer wieder im Speiseraum des Caves House gezeigt, und eine Mrs Birch habe sich gezeigt, ein Geist, den sich jede Mutter der Erde in ihrer Nähe wünschen würde.
Vor Überraschungen ist ja man in Höhlen nie sicher. Langezeit hindurch hatten die Führer den Besuchern verständlicherweise immer das erzählt, was halt in den Büchern gestanden hatte, z.B. über das Alter der Höhlen. Die hielt man für relativ jung - und dann diese Nachricht: Die Jenolan Caves sind die ältesten bekannten Höhlen der Erde! Man hatte Lehmproben aus dem Temple of Baal und der Orient Cave auf deren Alter hin untersucht und vollkommen Überraschendes festgestellt. Anhand des Eintrags von vulkanischem Material in den Höhlenlehm wurde festgestellt, daß der aus einer Zeit zwischen 290 und 354 Millionen Jahre vor unserer Zeitrechnung stammen muß! Aus keiner anderen Höhle der Erde ist bislang ein solches Alter nachgewiesen.
Ein kleines Detail zum Schluß. Es gibt nur noch zwei weitere Höhlen auf der Erde, wo man selber mit dem Auto hindurchfahren kann. Die Jenolan Caves sind eine davon. Das ist schon ein seltsames Gefühl so furchtbar einfach durch eine Höhle sich bewegen zu können, nicht einmal den Fuß mehr auf die Erde setzen zu müssen, sondern einfach mit ein paar Bewegungen des Lenkrads durch Durchquerung zu bewerkstelligen. Nur in der Mas d'Azil-Höhle in Frankreich und einer Höhle im Norden Spaniens ist das noch möglich.
Umgebung
Die Höhle
Temple of Baal
Imperial Cave
Devil's Coachhouse
Mckeown's Valley
Caves House
Pizzeria in Oberon
Literatur:
O.H.C. | The History of Jenolan Caves, Into the Blue, No 83, November 1960, p. 12-13 |
Glascott, Joseph | Aborigines object to display of Jenolan skeleton, The Sydney Morning Herald, February 17, 1987, p.3 |
Bonwick, John | How I found the New Cave at Jenolan, The Silver Jacket, February 1954, pp. 32-33 |
Bednarik, Robert G. | Die Jenolan Caves, Neu Süd Wales, Mitteilungen des Landesvereins für Höhlenkunde in Wien und Niederösterreich |
Willner, Dr. R. | Die "Jenolan Caves" bei Sydney als Schauhöhlenunternehmen, S. 98ff. |
Peck, Warren | Age and Origin of the Jenolan Tourist Caves |
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