Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle
Tagung 2016
des Arbeitskreises für Erdstallforschung
in Strahlfeld bei Roding
"'Wer das Vergangene kennenlernen will, kann nur im Dunkeln operieren. Das Dunkle ist nicht das Unbewußte, wie manche Psychologen meinten, es ist auch nicht das Mystische, das sich vorgeblich von selber zeigt. Es ist das Nicht-Nichts, das auf den ersten Blick dem vollendeten Nicht gleicht. Spurenlosigkeit ist die erste Tatsache der Naturgeschichte." Sloterdijk, Schelling-Projekt 18
Unterirdisches vom Bleschenberg
Ein mittelalterlicher Keller in Aumbach
Eigentlich hatte ich mit Wolfgang Stich vor Beginn der Tagung im Kloster Strahlfeld nördlich von Roding noch einen Erdstall besuchen und photographieren wollen. Im Vorjahr war unser Versuch ja schon einmal abgeschmettert worden, weil niemand zuhause gewesen war. Unsere Hartnäckigkeit stellten wir unter Beweis, indem wir es ein zweites Mal versuchten, aber auch diesmal wurde nichts daraus. Ich kam schon wieder eine Stunde zu spät, nichtzuletzt, weil ich in 2 großen Staus, einmal auf der Nürnberger Autobahn nach Allershausen und noch einmal in Regensburg feststeckte. Auch in Roding reißt man gerade im Ortskern die Straßen auf, was auch da zu starkem Rumkutschieren zwang. Egal, irgendwann lag das Tagesgewurl hinter mir und so etwas wie das "Elysium", der Parkplatz im Klostergelände, war erreicht.
Anmeldung im Kloster, die 120 Euros für 2-Tage-Vollpension bezahlt, den Schlüssel fürs Zimmer 50 in die Hand gedrückt bekommen, dann die Anmeldung bei der Tagungsorganisation, dort 15 Euros abgedrückt, dann schon bald zum Abendessen im schon sehr vertraut gewordenen, weil wir nun schon so oft dort gewesen sind, Gästespeisesaal. Wiedersehen mit vielen Bekannten und Freunden, die man halt meist nur einmal im Jahr sieht. Die meisten jedenfalls, einige aus der "Alten Garde" können einfach nicht mehr. Es gibt erfreulicher Weise Nachwuchs, neue Interessenten sind aufgetaucht und haben neue Ideen mitgebracht...
Wer sich bemüht, die englische Sprache zu erlernen, wird früher oder später auf das Phänomen der "false friends" stoßen. Das sind Wörter, die scheinbar einen Partnerbegriff haben, aber der ist vollkommen verkehrt, obwohl er so ganz ähnlich scheint oder klingt. Das vielleicht bekannteste Beispiel ist heute das "Handy", das einfach kein "handy" dort ist, sondern ein "cell phone" oder "mobile phone". ("handy" ist im Englischen "useful and simple to use" oder "near and easy to reach". Den Ausdruck im deutschen Sinne als das Grundding moderner mobiler Kommunikation wird man vergeblich z.B. im LONGMAN suchen!) Dieser "false friend"-Begriff scheint mir recht gut auch auf den Ausdruck "Erdstall" anwendbar zu sein, was sich mehrfach auf der 2016er Tagung gezeigt hat.
Beispiel 1: Auf Initiative unserer agilen derzeitigen Vorsitzenden Birgit Symader
hat man sich z.B. heuer sehr angestrengt und den sog. "Erdstall"
von Aumbach weiter ausgegraben. Was ist das Ende vom Lied? Es handelt sich
gar nicht um einen "Erdstall"! Das wohl schon magische Kräfte freisetzende
Wort "Erdstall" ist auch in diesem Falle nicht wirklich angebracht. Es
gibt genug Veröffentlichungen darüber mit der Bezeichnung "Erdstall"
darin, in den Zeitungen stand
darüber zu lesen zu lesen, auch in der Chamer Zeitung im Bericht über unser
Treffen - allein, es handelt sich da, so der derzeitige Meinungsstand bei
den Protagonisten und Sachstandkennern, um eine mittelalterliche Kelleranlage.
Aber, man denke nicht, daß diese Ansicht für alle gilt. Ich kenne da einen
"Nachdenker", der hat z.B. einen keltischen Ursprung der Anlage im
Auge gehabt und entsprechende Indizien gesehen! Egal, ich finde es wichtig, daß
alle zu Wort kommen, so "hirnrissig" manchem solche Ideen erscheinen
mögen. Was mir nicht gefällt, das ist das Pochen auf bestimmte
Rechtspositionen, z.B. "offizielle Grabung" und daraus abgeleiteten
Direktiven, z.b. bezüglich der Veröffentlichungsmöglichkeit von Bildern. Wer
da Zensur ausübt, und sich damit über andere erheben will, der will damit alternative Denk- und Sehmöglichkeiten
einschränken - und wie man sieht, ist man dann heutzutage auch schnell wieder
mit der eigenen hochgehaltenen Ansicht im "Aus" bzw. ziemlich weit
neben der Straße im Graben.
Beispiel 2: Für den Samstagnachmittag ist traditionsgemäß immer eine
Exkursion organisiert worden. Mit der "Tagungsgebühr" sind dann auch
gleich die Kosten für den Bus bezahlt worden, der die gesamten Teilnehmer zu
den Besuchsorten bringt. Da haben die meisten mitgemacht - bis auf uns drei. Wir
waren wohl so etwas wie bei Asterix das kleine Eigennest im großen römischen
Reich, das seine Selbstständigkeit bewahren wollte. Ich kannte schon alle
vorgesehenen Exkursionsorte, warum also nicht z.B. zum Bleschenberg fahren und
dort das Schratzelloch anschauen? Das kannte ich noch nicht, aber dort hat sich
ja in den letzten Jahren sehr viel getan. Noch zwei Mitfahrer waren schnell
gefunden und so tigerten wir halt mit eigenen Bordmitteln los, begleitet mit der
wenig freundlichen Bemerkung der Vorsitzenden, daß wir aber das Geld für die Busfahrt nicht
wiederbekommen würden. Das wollten wir ja auch gar nicht. Freiheit kostet öfters,
manchmal, leider, das Leben, in unserem Falle praktisch nichts bzw. hatten wir
einen tollen Tag am Bleschenberg, und später, trafen wir ja wieder den ganzen
Pulk in Hochbrunn. Ich schreibe hier darüber, weil es eben ein
"Schratzelloch" am Bleschenberg gibt und halt auch nicht. Auf dem Weg
finden sich Schilder mit diesem Wort, in der Ortsfolklore ist es festgeschrieben
- aber wenn man zum Objekt heute wirklich kommt, erinnert überhaupt nichts mehr
an ein Schrazelloch bzw. einen Erdstall. Da ist eine mittelalterliche
Schachtanlage, wo man nach Gold und Silber gesucht hat. Am Besten fährt man
aber wirlich selber hin und schaut sich das an. Dann kann man diesen "false
fried"-Effekt deutlichst selber erleben. Am Gitter vor dem Loch hängt 2016
ein kleines Büchlein mit dem Bezug zum Schratzelloch, der im Kern nicht da ist.
Beispiel 3: Bei einem Vortrag während der Veranstaltung wurde eine Erdstallverbreitungskarte gezeigt. Woher die da verwendeten Daten stammten, ist mir nicht bekannt. Aber sie schienen sehr der zu gleichen, die seit langem gezeigt werden. Und sie enthält immer auch die gleichen "Problemfälle", nämlich Objekte, die gar keinen Erdställe im klassichen Sinne sind. Lange scheint es ein Anliegen für einige gewesen, zu sein, ein möglichst großes Verbreitungsgebiet und eine große Verbreitungsdichte darzustellen. Leider ist das recht problematisch. Da werden Sachen aufgenommen, die ganz klar gar nicht dazu gehören, und andere, zumindest recht zweifelhaft sind. Ich machte z.B. einen Anmerkung zu den beiden Punkten auf der Karte in der Umgebung von Straßburg, die ja wohl auf einen Verbreitung von Erdställen auch in Frankreich hindeuten sollen. Tatsächlich gibt es die, aber ganz wo anders, als dort. Die fehlen aber. Ich habe mich selber mit Freunden dort umgesehen und genau diese beiden Objekte besucht. Karner erwähnt bereits solche Objekte, aber es ist anzuzweifeln, daß er jemals selber dort war. Das eine ist ein Verbindungsgang zwischen der Kirche und dem Pfarrhaus, das andere eine augeweiteter Keller. Beide unterirdischen Anlage sind einfach zu streichen - was aber zur Folge hat, daß das Verbreitungsgebiet der Erdställe in Westrichtung momentan schrumpft. Ich halte das für keine Tragik.
Es war eine reiche und vielfältige Tagung, die auch den Wandel in der Beschäftigung mit Erdställen und verwandten unterirdischen Objekten widerspiegelte.
Freitagabend gab es die Mitgliederversammlung, den
Tätigkeitsrückblick aus den einzelnen Regionen und am Ende berichtete Birgit
Symader noch vom Sachstand des geplanten Erdstall-Forschungszentrums in
Neukirchen-Balbini. Nicht vergessen soll werden, daß Manfred Moser aus
Regensburg wegen seiner großen Verdienste für die Erdstallforschung zum
Ehrenmitglied des Vereins gemacht wurde.
Der Samstag bestand vormittags aus einer Vortragsreihe (Cichocki - Erdställe
von außen, Langer - Unterirdische Gangsysteme nichtbergbaulichen Ursprungs in
Sachsen und Umgebung, Wider - Erdställe und Stollen in der Schweiz, neue
Überlegungen, Symaden - Erdstall Niederpretz), nachmittags einer Exkursion in
die mittelalterliche Kelleranlage von Aumbach und die Erdställe von Hochbrunn
und Rabmühle, und abends einem erneuten Vortragszyklus (Symader - Aumbach,
Gems-Müller - Erdstall als Lagerraum, Keller - Slaufluoc).
Am Sonntag gab es noch einmal Vorträge (Lindenmayr - Mazi, Unger/Kos/Glatthaar
- "Neues aus mährischen Erdställen", Kusch - Interdisziplinäre
Erdstallforschung?, Häck - Vom Erdstall zum Keller).
Viel gäbe es zu im Detail zu berichten, worüber ja hoffentlich in den anderen Berichten über das Treffen einiges zu lesen sein wird. Mein persönlicher Favorit war der Vortrag von Heike Gems-Müller, einer Newcomerin. Ihr Thema war "Der Erdstall als Lagerraum - Welches Lagergut passt zu seinem Eigenschaftsprofil?" Hier hat sich jemand an das glitschige Thema "Erdställe" vollkommen theoretisch herangemacht ohne jemals vorher persönlichen Kontakt mit diesen unterirdischen Räumen gehabt zu haben. Was da passiert ist, das hat mich an die besten Stücke von Loriot erinnert - im ernsthaftesten wissenschaftlichen Duktus vorgetragen, womöglich sogar selber geglaut, entsprach der Vortrag bester Satire. Die Erdställe - Eichelaufbewahrungskammern? Darauf ist vorher noch keiner gekommen. Nun war Frau Gems-Müller auch einmal in einem richtigen Erdstall - und wurde natürlich gefragt, ob sie schon ihre Meinung geändert hätte. Das geht nicht so schnell. Den Jargon der "Wissenschaft" bestens beherrschend, wurden alle Anfragen und Zweifel im Sinne der eigenen These erst einmal gekonnt abgeschmettert oder glitten an den glitischigen Formulierungen ab. Immerhin - es war wert, da wirklich dabei gewesen zu sein.
Nach dem Mittagessen am Sonntag erschallte auf einmal die Ansage: "Die Vorsitzende ist zurückgetreten." Was? Schon wieder so ein "Reinfall" wie mit Dieter Ahlborn, ihrem Vorgänger? Regine Glatthaat, nochvorherige Vorsitzende setzte diesen Satz in den Speisesaal, aber, wie sie gleich sagte, nur zum Spaß. Das war nicht ernst gemeint, Birgit macht weiter, aber zeigte sekundenschnell wie plötzlich sich die Verhältnisse ändern könnten. Die Zukunft ist immer eine ungewisse Sache, trotz all der Algorithmen, die angeblich unser Verhalten schon sehr genau voraussagen können wollen. Ich glaube, das dauert noch etwas, bzw. wird nie wirklich gelingen.
Das nächste Treffen soll wieder einmal jenseits der schon sehr vertraut gewordenen Mauern von Strahlfeld organisiert werden - dann wohl in Passau. Wir dürfen uns darauf freuen.
Im Kloster Strahlfeld | ||
< Im Speisesall
> Im Vortragsraum
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Wichtige Folien:
< Verbreitungskarte der "Künstlichen Höhlen" > Erste Erwähnungen des Wortes "Erdstall" |
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< Siehe Sloterdijk-Zitat > Manfred Moser - neues Ehrenmitglied |
Text vor der Veranstaltung:
Am Gedeihen des Arbeitskreises für Erdstallforschung hat sicherlich auch das alljährliche Treffen der Mitglieder und der Gäste seinen bedeutsamen Anteil. So kommen die Menschen zusammen - und das gerne. Die Meisten - und wem es nicht gefällt, der bleibt halt weg, verläßt wohl auch bald darauf die Gemeinschaft. Und daß die Treffen seit vielen Jahren nun schon immer wieder im Kloster Strahlfeld stattfinden, das ist sicherlich auch wichtig. Die klösterliche Atmosphäre hat schon ihren Reiz, das Wertlegen auf Schönheit, auf Ordnung, auf Sauberkeit, auf Ruhe - das ist inzwischen ein besonderer Wert geworden, in einer so hektisch und oft recht häßlich gewordenen Welt - das Geld allein bringts wirklich nicht.
Rundum gibt es dann natürlich auch eine Vielzahl dieser rätselhaften Objekte, weswegen wir uns ja treffen - die Erdställe. Jedes dieser Objekte strahlt diesen besonderen Reiz aus, der eben viele von uns nicht mehr losgelassen hat, seitdem wir ihm irgendwann einmal "verfallen" sind.
So mancher kann ja inzwischen selber gar nicht mehr hinein, was man am mitgeführten Krückstock oder am Rollator sieht, den er mitführt. Ein paar Erdstallurgesteine können ja aus Alters- und/oder Krankheitsgründen überhaupt nicht mehr kommen. Leider. Sie haben uns so viele glückliche Momente beschert, aber sie schicken zum Beispiele noch ihre Grüße und Wünsche zu einem guten Gelingen der Tagung. Das zeigt tiefe Verbundenheit und die kommt nicht von alleine. Schön, daß man so etwas erleben darf.
Ich bin gespannt aufs nächste Mal.
Es gibt ja tatsächlich "Neues" zu berichten, schon etwas seltsam bei einem Phänomen, dessen Höhepunkt schon vor so langer Zeit gelegen hat. Immer wieder bricht einer ein beim Landwirtschaften - und findet so "Neu/Altland". Auch Verschüttetes wird wieder ausgegraben. Schritt für Schritt geht es vorwärts - nur, kommen wir dem "Rätsel der Erdställe" tatsächlich näher? Oder umkreisen wir es dauernd nur?
Literatur:
Hinzpeter, Uwe | 40. Jahrestagung des Arbeitskreises für Erdstallforschung im Kloster Strahlfeld bei Roding 23.- 25. September 2016, Der Erdstall 43, 2017, S. 131ff. |
Laube, Alexander | Geheimnisvolle Gänge - Erdstallforscher tagen in Strahlfeld - Exkursionen zu Schrazellöchern, Chamer Zeitung, Nr. 224, 27. September 2016, S. 1 |
Laube, Alexander | Kein Lager, kein Versteck - was dann? Jahrestagung der Erdstallforscher - Gänge in Aumbach, Hochbrunn und Rabmühle besucht, Chamer Zeitung, Nr. 224, 27. September 2016, S. 21 |
Sloterdijk, Peter | Das Schelling-Projekt, Suhrkamp, Berlin 2016 |
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