Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

Johann Wolfgang von Goethe und die "Höhle"


"Der Mensch muß wieder ruiniert werden."

"Denken und Tun, Tun und Denken, das ist die Summe aller Weisheit, von jeher erkannt, von jeher geübt, nicht eingesehen von einem jeden."

"Unmöglich scheint immer die Rose, Unbegreiflich die Nachtigall."

"..im Gespräch mit den Dingen.."

"Als ich mich in diese wüsten Felsklüfte vertiefte, war es das erstemal, daß ich die Poeten beneidete." Goethe, Werke XVII 627

"Seit ich Goethe lese, erscheint mir alles, was ich unternehme, legitim und natürlich;...tu was du mußt, sagt er, auch wenn es nichts Tobendes ist, atme, betrachte, überdenke! Was an Goethe oft langweilig wirkt, daß er immer vollständig ist." Elias Canetti 69


Speläologisches im Ilmtal > Höhle im Hermannstein


Eine ausführliche Darstellung des Begriffs "Höhle" bei Goethe im Goethe-Wörterbuch enthält alleine 4 verschiedene Hauptbedeutungen mit vielen Untergruppierungen:

1. (größerer) Hohlraum in der Erde, in oder zwischen Felsen

2. kleiner geschlossener Hohlraum, Hohlkammer; im Gestein, Pflanzen, Knochen

3. Eintiefung, (Aus-)Höhlung; Öffnung

4. Hohlweg

Alleine das zeigt schon, worauf man sich einläßt, wenn man anfängt, der "Höhle" bei Goethe nachzuspüren. Überallhin öffnen sich Assoziationsräume, ein Riesenthema...


Erste Ansätze:

- 1776 "Höhle am Hermannstein bei Ilmenau", Zeichnung von Goethe, Schwarze Kreide, grau laviert, auf blauem Papier, 42x59 cm, Goethe-Nationalmuseum (Abbildung in Emslander 43), ein "kleiner bergbaulicher Schurf" (Reinboth 2022, S. 61) mit einer Verbindung zu Frau von Stein


- 1777 Baumannshöhle: "Nach einer wohl durchschlafenen Nacht eilte ich frühe, von einem Boten begleitet, der Baumannshöhle zu, durchkroch sie und betrachtete mir das fortwährende Naturereignis ganz genau.....Wieder ans Tageslicht gelangt, schrieb ich die notwendigsten Bemerkungen...

- 1777 "Höhleneingang" Bleistift und Kohle auf dünnem, blauem Papier, 312x53 cm, Goethe Nationalmuseum (Abbildung in Emslander 44)

- 1780 Frühjahr 1780: Goethe übernimmt die Leitung der herzoglichen Bergwerkskommission. "Vorausgegangen war der Versuch, die Bergwerke in Ilmenau wieder in Betrieb zu nehmen und zur Förderung von Kupfer, Silber und Blei zurückzukehren...Da war der Mensch gar nichts, der Stein alles" Steinfeld 11

- 1783 Zweiter Besuch der Baumannshöhle und erster Besuch der Einhornhöhle im Harz

- 1784 Dritter Besuch der Baumannshöhle und der zweite Besuch der Einhornhöhle (9.8.1784), zusammen mit dem Maler Georg Melchior Kraus, der einige Zeichnungen dabei hervorbracht, Besuch der Sandsteinhöhlen bei Langenstein

- ???? "Goethe besuchte die Eislöcher in Panna bei Trebusin (Triebsch) nahe Litomerice (Leitmeritz) und die Frainer Eisleiten bei Znaim (Ledove sluje/Vranov)  Punz et.al, Kaltlöcher 29


Literaturzitate:

- Westöstlicher Diwan:

Schau! die Welt ist keine Höhle,
immer reich an Brut und Nestern,
Rosenduft und Rosenöle;
Bulbul auch, sie sing wie gestern.

- Wilhelm Meisters Lehrjahre

...Kennst du den Berg und seinen Wolkensteg?
Das Maultier sucht im Nebel seinen Weg,
In Höhlen wohnt der Drachen alte Brut,
Es stürzt der Fels und über ihn die Flut:
Kennst du ihn wohl?

Dahin! Dahin!
Geht unser Weg; o Vater, laß uns ziehn!

- Epimenides (Gesammelte Werke Band VII), 369

"Da nahmen sich die Götter meiner an,
Zur Höhle führten sie den Sinnenden,
Versenkten mich in tiefen langen Schlaf.
Als ich erwachte, hört' ich einen Gott:
"Bist vorbereitet", sprach er, "wähle nun!"

- Die Leiden des jungen Werther 82

Zu hören vom Gebirge her,
im Gebrülle des Waldstroms,
halb verwehtes Ächzen der
Geister aus ihren Höhlen, 
und die Wehklagen..."

- Dichtung und Wahrheit 1. Teil, 4. Buch, S. 137

"...Sara stirbt, und dies gibt Gelegenheit, daß Abraham on dem Lande Kanaan vorbildlich Besitz nimmt. Er bedarf eines Grabes, und dies ist das erstemal, daß er sich nach einem Eigentum auf dieser Erde umsieht. Eine zweifache Höhle gegen den Hain Mamre mag er sich schon früher ausgesucht haben. Diese kauft eer mit dem daran anstoßenden Acker und die Form Rechtens, die er dabei beobachtet, zeigt, wie wichtig ihm dieser Besitz ist. Er war es auch, mehr als er sich vielleicht selbst denken konnte: denn er, seine Söhne und Enkel sollten daselbst ruhen, und der nächste Anspruch auf das ganze Land, sowie die immerwährende Neigung seiner Nachkommenschaft, sich hier zu versammeln, dadurch am eigentlichsten begründet werden."

In einem Text im Zusammenhang  mit der Veröffentlichung "Deutschland - geognostisch-geologisch   dargestellt von Chr. Keferstein, Weimar 1821" kennzeichnet sich Goethe selber so: "Wenn ich gedenke, was ich mich seit fünfzig Jahren in diesem Fache bemüht, wie mir kein Berg zu hoch, kein Schacht zu tief, kein Stollen zu niedrig und keine Höhle zu labyrinthisch genug war,..." Damit wird deutlich, wie er die "Höhle" perspektivisch gesehen hat: als "labyrinthisch". All die anderen Möglichkeiten sind in den Hintergrund getreten und diese trat in den Vordergrund... (G, Hamburger Ausgabe Band 13, Naturwissenschaftliche Schriften 1, S. 280)

- Das Märchen

"...Dort fand er zwischen hohen Felsen eine ungeheure Kluft, schüttete es (Gold) hinein und fuhr nach seiner Hütte zurück. In dieser Kluft befand sich die schöne grüne Schlange, die durch die herabklingende Münze aus ihrem Schlafe geweckt wurde. Sie ersah kaum die leuchtenden Scheiben..." (211)

     
     

In seinen Anweisungen zu seinen Bühnenstücken finden sich weitere Anknüpfungspunkte: Des Epmenides Erwachen, Nausikaa, Pandora....


Literatur:

Adler, Jeremy (2022): Goethe. Die Erfindung der Moderne. Eine Biographie, C.H.Beck Verlag, München

Blumenberg, Hans (1981): Die Lesbarkeit der Welt, Suhrkamp, Frankfurt a.M.

Bollmann Stefan (2021): Der Atem der Welt - Johann Wolfgang Goethe und die Erfahrung der Natur. Klett-Cotta, Stuttgart

Bollmann Stefan (2016): Warum ein Leben ohne Goethe sinnlos ist, DVA, 1. Auflage, München

Canetti, Elias (2004): Über die Dichter, Fischer, Frankfurt a.M.

Emslander Fritz (2002): Reise ins unterirdische Italien - Grotten und Höhlen in der Goethezeit, Karlsruhe

Goethe, J.W.von (1994): Hamburger Ausgabe in 14 Bänden, dtv, München 1981/1998

Hörisch, Jochen (2021): Hände, Hanser, München

Hottner, Wolfgang (2020): Kristallisationen. Ästhetik und Poetik des Anorganischen im späten 18. Jahrhundert. Wallstein Verlag, Göttingen

Kämper, Michael (1995): Goethe und die Höhlen, Jahresbericht der Höhlenforschergruppe Rhein-Main, 16,1994, Frankfurt a.M. 1995, 97-99

Maurer, Golo (2021): Heimreisen - Goethe, Italien und die Suche der Deutschen nach sich selbst, Rowohlt, Hamburg

Nielbock, Dr. Ralf (2003): Goethe in der Einhornhöhle: Keine seltenen Steine - dafür eiszeitliche Knochen, aus: Goethe im Harz, Sonderausgabe 5/2003, S. ) Harzdruckerei Wenigerode

Podack, Klaus (1999): Egoistische Leseweisen - Johann Wolfgang Goethess 250. Geburtstag hat Fluten von Büchern und Feiern ausgelöst, die den Zugang zu den Werken und zu seinem Leben eher versperren - Versuch einer Bestandsaufnahme, SZ, Goethe Spezial, 28./29.08.1999

Punz, Wolfgang, Helmuth Sieghardt, Rudolf Maier, Manfred Engenhardt & Erhardt Christian (2005): Kaltlöcher im Ostalpenraum, Verh. Zool.-Bot. Ges. Österreich 142 (005): 27-45

Reinboth, Fritz (1997): Goethes Besuche in Harzer Höhlen, Der Höhlenforscher 29 (3): 67-72

Reinboth, Fritz (2022): Goethes Besuche in Harzer Höhlen während dreier Harzreisen, Mitt. Verb. dt. Höhlen- und Karstforscher 68(3), München S. 60-63

Singer, Lea (2015): Anatomie der Wolken, Hoffmann und Campe, Hamburg 2015

Steinfeld, Thomas (2020): Die Welt in einem Schneekristall - Wolfgang Hottner über die "Poetik des Anorganischen", SZ Nr. 233, 9.10.2020, S. 11

Waldner, F. (1949): Goethe als Höhlenforscher. - Natur und Land 35. 158-160 Graz

Links:

Goethe Wörterbuch

http://www.goethezeitportal.de/home.html > Stichwort HÖHLE > viele viele Hinweise

https://opus.bibliothek.uni-wuerzburg.de/opus4-wuerzburg/frontdoor/deliver/index/docId/15222/file/Wolfzettel_Hoehle_Grotte.pdf

https://www.klassik-stiftung.de/goethe-nationalmuseum/

Schriftsteller und ihre Werke mit Höhlenbezug


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