Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle
Philosophie und Höhle
"Die Lehrbefugnis auf diesem Feld wird erworben, indem zuerst ein einzelner Pionier der neuen Sehweise sich aus der Kollektivhöhle den Weg ins Freie bahnt und sich danach - fürs erste unvermeidlich widerwillig, sich selbst überwindend - bereitfindet, wieder zu den falsch Eingestellten ins Schattenkino hinunterzusteigen, um auch ihnen den Zugang zu den Befreiungen zu erläutern." Sloterdijk, Leben ändern, S. 124
"Was ist Philosophie heute? Ist sie nicht der Leerlauf des Leerlaufs?" Sloterdijk, Schelling 86
"Das Ganze gibt es nicht. Weder unsere Wissenschaft noch unsere Phantasie wäre imstande es zu fassen." H.M.Enzensberger, Herrn Zetts Betrachtungen, Suhrkamp, Berlin 2013, S. 24 (Gibt es also Platz für Löcher, Höhlen, Sonstige Nichtigkeiten? Und was könnte das bedeuten?)
"omne ignotum pro magnifico" - "Alles Unbekannte gilt für großartig."
"Der Abschied von der Philosophie braucht uns nicht allzu schwer zu fallen, denn es ist auch ein Abschied von überspannten Erwartungen. Im übrigen ist Philosophie als Stufe oder Moment der Entwicklung unseres Bewußtseins latent stets bei uns und in uns wie der Mythos, aus dem sie stammt." Hochkeppel, Mythos Philosophie 166
"..wahre Philosophen verstehen Unvollständigkeit.." Taleb, Kleines Handbuch für den Umgang mit Unwissen 91 (Darum geht es doch bei den "Höhlen"! Unvollständigkeit - Höhle ist nicht nicht nur das Gestein außenherum, sondern auch der Hohlraum drinnen. Das Eine und das Andere. Das "Sein" und das "Nichtsein".)
Schon seit den Anfängen des Nachdenkens über uns Menschen auf dieser Erde spielt die "Höhle" dort eine Rolle. Platos Höhlengleichnis ist bei uns so eine Benchmark. Hans Blumenberg hat diesen Strang der geistigen Auseinandersetzung ausführlichst nachvollzogen und ein großes Buch darüber geschrieben.
Aber die Erde bleibt, noch, nicht stehen, muß noch immer den "Menschen" auf seiner Oberfläche und in ihren "Eingeweiden" erdulden. Vielleicht gibt es diese Spezies ja bald nicht mehr, zuviel scheint schief zu laufen. Es lohnt sich, mehr darüber nachzudenken.
Seit vielen Jahren schon versuchen wir unserer klein gewordenen Interessengemeinschaft Höhle-Religion-Psyche/Anthopospeläologie diesen Gedanken nachzugehen, was halt nur einem sehr kleinen Kreis gekannt wird. Das Thema geht aber wohl alle an.
Hier sollen noch ein paar erste Ideen, Hinweise, Geschichten und anderes aufgeführt werden:
- In den "Nomos" von Platon ist die Handlung
eingebettet in ein Setting mit Höhlenbezug. "Drei Herren in
fortgeschrittenen Alter unternehmen auf der Insel Kreta eine Wanderung. Ihr Ziel
ist die sagenhafte Höhle im Berg Ida, in der Zeus dem Mythos nach von der Amme
Adrasteia aufgezogen wurde - und in der der Göttervater dem sagenhaften
kretischen König Minos einst die Gesetze des Landes diktiert haben
soll....." Quarch, Platon 21f
Grundthema ist das Maß, dem man im Leben der Natur Rechnung tragen soll, also
nicht nur des Staates, sondern auch dem Menschen wie dem Kosmos.
- Francis Bacons "idola specus", die
"Idole der Höhle" (siehe Blumenberg S.
285ff.)
Bacon beschäftigt sich damit im Zusammenhang mit der Frage, wie objektive
Erkenntnis zu gewinnen sei. Sein Begriff für die Schwierigkeiten dabei sind die
"Idola". Er nennt4 davon, eine davon ist diese "idola
specus". Wilhem Vossenkuhl beschreibt sie, vereinfachend, als
"Meinungen, die man am liebsten vertritt und auf die man sich etwas
einbildet", noch vereinfachter, modern gesagt, der "Tunnelblick auf
die Wirklichkeit".
- Höhlenethik: Dieses Thema hat viele Facetten. Eine davon: Wer bezahlt für die Kosten der Rettung eines verunglückten Höhlenforschers? Anläßlich der Bergung von Johann Westhauser im Juni 2014 aus dem Riesending im Untersberg wurde dieser Frage auch öffentlich verhandelt (Rainer Erlinger, Geld oder Leben, Süddeutsche Zeitung Nr. 143, 25. Juni 2014, S. 11 und Dilling, Dr. Olaf, Das Riesending, das helfen läßt, Süddeutsche Zeitung Nr. 156, 10. Juni 2014, S. 8)
- "Life itself is contradictory." (DSF, Gratefulness, S. 33) Diese philosophische These David Steindl-Rasts, wo zeigt sie sich in unserem Leben, auch in Bezug auf unser Leben als "Höhlenforscher"? Wieso gehen wir immer wieder z.B. in diese Räume, obwohl wir ganz genau wissen, daß es darin auch sehr gefährlich ist? Ein Stein von oben genügt!
- Ein inzwischen sehr wichtig gewordenes Thema betrifft das
Betreten der Höhlen in der Winterszeit. Angeblich ist es aus
Naturschutzgründen geboten, in dieser Zeit nicht dorthin zu gehen, weil sich,
vereinfacht gesagt, sich die Fledermäuse durch die Höhlenforscher gestört
fühlen würden. Wirklich? Können wir Menschen uns wirklich in die Situation
der Fledermäuse wirklich hineinversetzen? Das wurde in der Philsophie schon
unter der Überschrift verhandelt: "What is it like to be a bat?" Ein
spannendes Thema.
>> Thomas Nagel 1974 https://www.reclam.de/data/media/978-3-15-019324-2.pdf
>> PHILO-COMIC Illustration und Text Nicolas Mahler, HOHE LUFT 6/2022,
S. 78f. (Mit welchen philophischen Problemen beschäftigen sich Fledermäuse,
wenn die Nacht lang ist?" .......Ist das für mich eine
"Störung" oder nicht, wenn da gerade Menschen an meinem Schlafplatz
vorbeigehen?...)
- "(Heidegger)....In der vermeintlichen Geborgenheit der (Holzhütte) wird die Unheimlichkeit und fundamentale Ausgesetztheit des Menschen an die Urkräfte der Natur umso intensiver erfahrbar." Eilenberger, Zauberer, S. 145
- https://www.youtube.com/watch?v=W5SFB0XhkZw Peter Sloterdijk "Gefährliches Denken" mit starkem Höhlenbezug!
_ " Die Höhle ist schal, die sich nicht vor großen Tiefen profiliert." Peter Sloterdijk, Kritik der Zynischen Vernunft, 217
- Albert Camus hat offenbar von den Höhlenforschern nicht viel gehalten. In den "Gesammelten Erzählungen Band 4 heißt es jedenfalls: "Den Höhlenforschern, die die Stirn hatten, sich mit ihren widerlichen Leistungen auf den Titelseiten der Zeitungen breitzumachen, galt mein ganz besonderer Hass...." Grunenwald 32
- Eine der drei Möglichkeiten, daß die "Welt" dem Menschen eine "Täuschungsmöglichkeit" einräumt, ist, nach Martin Heidegger, daß es Welterfahrungen gibt, "die für uns vor allem ein Nicht-Erfahren sind. Es gibt Dinge wie den Traum, es gibt Dunkelheit. Ein Phänomen verstört uns besonders: Es gibt Nebel. Wir würden gerne etwas erkennen, aber es gelingt nicht. Heidegger nennt es "Entgänglichkeit der Welt":_ "Die Dinge können uns entgehen, das heißt nicht, sie verschwinden". Wir wissen, dass da etwas ist, aber wir sehen es nicht, sondern wir erleben notwendig den Mangel unseres Erkenntnisvermögens und die Hilflosigkeit, sich nicht mher zurecht zu finden, ohne dass es unser Fehler wäre. Wir können fehlsehen und dabei auch übersehen, dass ein genaueres Hinsehen nichts nützt." Stangneth, Lügen lesen 166
- Die "Höhle" ist ja auch nur ein Wort und ein Bild, für Sachverhalte, die auch anderes heißen können, und doch Verwandtes meinen. Dazu gehört auch der "Abgrund" und z.B. der "Tunnel".
- Für den "Tunnel" habe ich ein schönes Beispiel in Harald Welzers Buch "Selber denken" gefunden: "Das Buch erzählt, wie man Exits aus dem Tunnel finden kann. Notausgänge, aber eben auch schmale Ritzen, Löcher und Durchblicke, die sich zu Ausgängen erweitern und ausbauen lassen: vom Suchen also nach den Stellen, an denen man die feste Wirklichkeit perforieren kann, die uns in der vermeintlichen Massivität ihres So-Seins im Griff zu haben scheint." (S. 16) Es geht da gerade um die Gestaltung der "Zukunft" und die Handelnden, die ihr momentanes Vorgehen als "alternativlos" den anderen präsentieren. Ein erfahrener Höhlenforscher kann dieses geistige Bild leicht in schon erfahrene Erlebnisinhalte umsetzen!
- Aus einer Webseite über eine französische Höhle mit Klettersteig: "Der Klettersteig ist laut Schild das ganze Jahr über zugänglich. In Deutschland gibt es jedoch Fledermausschutzzeiten, die sinnvollerweise auch in Frankreich gelten sollten: Wintersperre vom 01.10. bis 31.03." Ist das zutreffend? Wie verallgemeinerungsfähig ist die Bestimmung eines Landes in einem anderen? Wer gibt den Ton an? Sollten wir nicht eher die Vorschriften in Deutschland anpassen an die in Frankreich?
- Warum geht jemand in eine Höhle oder interessiert sich wenigstens für dieses "Thema"? Ein "tiefes" Thema, wert des Schweißes der "Besten". Eine kleine Spur: "Man lebt intensiver". Siehe: Garcia, Tristan, Das intensive Leben - Eine moderne Obsession. > Höhlenforscher
Die "Philosophie"-Säule in der
Wendelstein-Schauhöhle
Auf der UIS-Kongress 2013 in Brünn
CAVING IS THE ANSWER? What was the question?
Literatur:
Blumenberg, H.C. | Höhlenausgänge, Frankfurt a.M. 1989 |
Chesterton, G.K. | Die neue Weihnacht, nova&vetera Bonn 2004 |
Dilling, Dr. Olaf | Das Riesending, das helfen läßt, Süddeutsche Zeitung Nr. 156, 10. Juni 2014, S. 8) |
Dupré, Ben | 50 philosophy ideas you really need to know, Quercuc, London 2007 |
Eilenberger, Wolfram | Zeit der Zauberer - Das große Jahrzehnt der Philosophie 1919-1929, Klett-Cotta, Stuttgart 2018 |
Erlinger, Rainer | Geld oder Leben, Süddeutsche Zeitung Nr. 143, 25. Juni 2014, S. 11 |
Findlay, J.N. | The Discipline of the Cave, Gifford Lectures, London, George Allen & Unwin Ltd, New York 1966 |
Gambari, Stefano | Freud e lo speleologo - scena di un incontro,Circolo Speleologico Romano 2021 |
Garcia, Tristan | Das intensive Leben, Suhrkamp, Berlin 2017 |
Gebauer, Herbert Daniel | Hodscha Kilen - ein islamisches Höhlenheiligtum in Kirgisien, Mitt. Verb. dt. Höhlen- und Karstforscher 40(1) München 1994 18-19 |
Grunenwald, Jean-Charles | Albert Camus und die Höhlenforscher, Beiträge zur Höhlen- und Karstkunde in Südwestdeutschland Nr. 18, Stuttgart 1979, 32-33 |
Hochkeppel, Willy | Mythos Philosophie, Hamburg 1976 |
Hübl, Philipp | Der Untergrund des Denkens - Eine Philosophie des Unbewussten, rowohlt, Reinbeck bei Hamburg 2015 |
Lesch, Harald, Vossenkuhl, Wilhelm | Die Grossen Denker, München 2011 |
Mahler, Nicolas | PHILO-COMIC Illustration und Text Nicolas Mahler, HOHE LUFT 6/2022, S. 78f. |
Nagel, Thomas | What is it like to be a bat? https://www.reclam.de/data/media/978-3-15-019324-2.pdf |
Quarch, Christoph | Platon und die Folgen, J.B. Metzler, Stuttgart 2018 |
Riechelmann, Cord | Höhleneingänge, in: Messling, Markus, Lepper, Marcel, Georget, Jean-Louis (Hg.), Höhlenobsession der Vorgeschichte, Matthes & Seitz, Berlin 2019 |
Schmid, Wilhelm | Im Banne der Bilder - Die Philosophie Hans Blumenbergs, Süddeutsche Zeitung Nr. 227, 1./2. Oktober 1988, S. 148 |
Schnädelbach, Herbert | Was Philosophen wissen und was man von ihnen lernen kann, C.H.Beck, München 20212 |
Sloterdijk, Peter | Du mußt dein Leben ändern, Frankfurt a.M. 2009 |
Sloterdijk, Peter | Das Schelling-Projekt, Suhrkamp, Berlin 2016 |
Sloterdijk, Peter | Kritik der zynischen Vernunft, 19. Auflage, Frankfurt a.M. 2013 |
Stangneth, Bettina | Lügen lesen, Rowohlt, Reinbeck 2017 |
Steindl-Rast, David | Gratefulness, the Heart of Prayer, Paulist Press, New York/Mahwah, N.J., 1984 |
SZ | Höhlenausgänge, Süddeutsche Zeitung Nr. 137, 17. Juni 2014, S. 9 |
Welzer, Harald | Selbst denken, S. Fischer Verlag, 2. Auflage, Frankfurt a.M. 2013 |
Links:
Die Zeushöhle am Psiloritis auf Kreta - Platos Höhle?
http://www.historyofphilosophy.net/
http://www.information-philosophie.de/
https://www.college.columbia.edu/cct/archive/winter12/columbia_forum IGNORANCE / Firestein
https://www-user.tu-chemnitz.de/~ferdi/blumenbergiana/hohlenausgange-und-hohleneingange.html
https://monarch.qucosa.de/api/qucosa:19260/attachment/ATT-0/
https://www.yumpu.com/de/document/read/33628062/klaus-heinrich-zeitschrift-faa-1-4-r-ideengeschichte
https://www-user.tu-chemnitz.de/~ferdi/blumenbergiana/hohlenausgange-und-hohleneingange.html
https://uol.de/einblicke/25/die-erde-ein-lebewesen
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