Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle


S t a d t s p e l ä o l o g i e


Wo ist das? Eine Eingangsfrage für echte "Stadtspeläologen"!


"..die Stadt ist, spätestens seit der Renaissance, ein theatralischer Raum: Die Stadt besteht aus Plätzen, die wie Bühnen funktionieren; sie verschafft den Individuendas Gefühl, betrachtet zu werden, und sich dementsprechend benehmen zu müssen." Richard Sennet, The Fall of Public Man, zitiert in: Robert Pfaller, Zweite Welten Und andere Lebenselexiere


Zu den ersten Erfahrungen des Menschen mit Höhlen zählte sicherlich in südlichen Zonen unserer Erde, daß man dort Schatten und Kühle finden konnte, im Norden, daß Höhlen Schutz vor den Unbilden des Wetters wie Regen, Schnee und Wind bieten konnten.

Mit dem Fortschreiten der Kulturentwicklung des Menschen verstand er es immer mehr, sich von den ursprünglichen Gegebenheiten der Natur zu lösen und selber günstige Bedingungen für sein Dasein zu schaffen. So entstanden zuerst Mauern, dann Häuser, schließlich Dörfer, heute unsere Städte.

Ist in der modernen Stadt noch etwas von den Ursprüngen in den Höhlen zu merken? Zuerst bin ich dieser Frage am Beispiel meines Wohnorts, der Stadt München, nachgegangen, und bin auf Erstaunliches gestoßen. Dem kundigen Blick taten sich verblüffende "künstliche Höhlen" auf. Es lassen sich richtig einige Phasen erkennen, wo die Höhle/Grotte eine stärkere Bedeutung im Bau und bei der Ausgestaltung von Städten hatte als zu anderen Zeiten. Wir scheinen gerade wieder, wegen unseres Erlebnishungers und dem Drang nach Abwechslung, in einer Blütephase zu leben. Erkennbar ist auch, daß die Phänomene unheimlich schnellebig sind und oft nach kurzer Zeit gleich wieder vollständig verschwunden sind.

Die "Stadtspeläologie" hat viele Seiten. Einmal geht es darum, was für Höhlen auf einem bestimmten Teil dieser Erde vorkommen. Mit dem "Unter-den-Pflug-Nehmen" von immer mehr Teilen dieses Planeten konnte es nicht ausbleiben, daß auch Teile von Höhlengebieten unter einer Stadt zu liegen kommen, und so in das Blickfeld dieses Zweiges der Höhlenkunde kommen. Dann gibt es aber auch vom Menschen gemachte Strukturen in Städten, die einen Höhlenforscher angehen, Tunnel, Röhren, Kammern usw., die "speleologia urbana" wie sie auf Italienisch heißt. Und es gibt "Höhlen" im übertragenen Sinne, in Museen, in Ausstellungen, in Kulturdenkmälern, der ganze besondere Bereich der Anthropospeleäologie. Und man sollte nicht vergessen, daß sich heute in praktisch allen großen Städten Menschen zusammengeschlossen haben, die sich der Höhlenkunde und Höhlenforschung verschrieben haben, Clubs gegründet haben und die von dort aus nun wirken.

Ein außergewöhnlicher Aspekt: Gibt es Krokodile in der städtischen Kanalisation? Angeblich gibt oder gab es so etwas in New York. Es soll sogar einen inoffiziellen Feiertag dafür geben, den 9. Feburar (siehe: Werthmann, Alligatoren im Rohr)

Der Ansatz läßt sich weltweit übertragen, aber eine "gute" Stadtspeläologie läßt sich meist nur entwickeln, wenn man dort auch zuhause ist. Vielleicht steigen da noch ein paar andere ein.

Hier sind vorläufig mal drei zu sehen, an anderen wird noch gearbeitet..            

München
Salzburg
Budapest
Paris
Wien
Nürnberg
Stuttgart
Istanbul 
Berlin 
  • Großes Schauspielhaus in Berlin / umgebaut durch Hans Poelzig 1920
Mannheim
  • 1889 wurde in dem Nachtcafé Goldener Stern von August Dirigl ein Raum namens Ludwigs-Grotte mit künstlichen Felsen, Stalaktiten und Stalagmiten an Decken und Wänden wie eine künstliche Tropfsteinhöhle ausgestattet (siehe Berger, Grotten-Interieurs)
Sydney
Singapur Aus Singapur stammen die Photos, die mein Sohn Michael Anfang 2019 in einer spektakulären künstlichen Tropfsteinhöhle aufgenommen hat. Man hat auch nicht davor zurückgescheut, echte Tropfsteine auf den Kopf zu stellen, um sie noch spektakulärer zeigen zu können...
Linz
New York Tunnelmenschen / Jennifer Toth

 

 


In vielen Ländern der Erde gibt es inzwischen "Höhlenforscher", die sich auch dem Untergrund unter den Städten widmen. In Italien heißt das etwa "Speleogia urbana". Ziel ist die Erforschung und Vermessung alter und neuer unterirdischer Anlagen, die vom Menschen geschaffen wurden, seien es nun alte Kanäle, Keller, Bunker, Steinbrüche oder ähnliches, womit der Speläologie neue Betätigungsfelder aufgetan wurden.

Internetlinks zu diesem Feld:


Literatur zur Stadtspeläologie:

Berger, Julia Grotten-Interieurs der Gastronomie, Beitrag aus: Archiv für Kulturgeschichte 96.2/2014, Böhlau-Verlag Wien Köln Weimar
Lindenmayr, Franz Höhlenstadt München, in: Arbeitskreis Höhle, Religion, Psyche, Gabi und Peter Hofmann (Hrsg.), Tagungsmappe 1996, München 1996
Lindenmayr, Franz Stadtspeläologie am Beispiel Münchens, in: DER SCHLAZ 57, 1989, S. 14ff.
Toth, Jennifer Tunnelmenschen. Das Leben unter New York City, Ch. Linke Verlag, Berlin 1994
Werthmann, Carolin Alligatoren im Rohr, Süddeutsche Zeitung Nr. 74, 28./29. März 2020, S. 36

Links:

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