Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

Speläologisches entlang des Jakobsweges


San Juan de la Pena, Spanien / Pilgerstempel St. Beatus Höhlen


"Every step a new tap."                                                                                                                       (aus: Peter Erlenwein, Reise in die Mitte des Kreuzes)

"Nimm nur mit, was du tragen kannst."                                                                                    (Achill Moser, Nimm nur mit, was du tragen kannst)

"Es gibt keinen Weg. Nur gehen."                                                                                (Antonio Machado)

"Oft liegt das Ziel nicht am Ende des Weges, sondern irgendwo an seinem Rand." (Ludwig Strauss, zitiert in: Hagenmeyer 72)

"These hikes are a reminder that what shapes us is not so much the possessions we acquire but the memories we accumulate, that when you scrape away the veneer, what gives life meaning is not the grandest barbecue or the sportiest cavr. It's each other." Kristof 2

"Die Alten glaubten, die Götter seien den Menschen an bestimmten Orten näher als anderswo, und zu allen Zeiten gab es Wallfahrten zu solchen Stätten, um sich der Sinnhaftigkeit des Daseins zu vergewissern und Trost und Hilfe zu erflehen." Habermas

"So wenig wie möglich sitzen, keinem Gedanken Glauben schenken, der nicht im Freien geboren ist und bei freier Bewegung - in dem nicht auch die Muskeln ein Fest feiern. Alle Vorurteile kommen aus den Geweiden." F. Nietzsche, Ecce Homo

"Einfach losgehen. Das ist die romantische Vorstellung, dass man sich treiben lassen könnte..." Stangneth, Sexkultur 227


Von Schrobenhausen Richtung Westen auf dem Jakobsweg bis zum Bodensee / Deutschland

Vom Bodensee durch die Schweiz bis zum Genfer See

Durch Frankreich

Durch Spanien bis zum Cap Finistère


"Keine andere Geschwindigkeit ist einem organischen Körper angemessener als die, die er sich selbst verdankt."
Italo Svevo

"Seinserfahrung ist Bewegung.
Bewegung heißt:
Wege machen:
das Nichts mit Wegen versehen."
Michael Vetter

And I have many miles on foot to fare...
John Keats, Keen Fitful Gusts

"Ich kenne keinen Fortbewegungsart, die dem Denken, dem Sprechen und schließlich auch dem Schreiben gemäßer wäre als das Gehen. Denn zum Fußweg gehört auch der langsame, allmähliche Wechsel der Perspektive, das Innehalten und Betrachten. Erst dadurch kann so etwas wie ein vielschichtiges Bild der Welt entstehen, Material für Geschichten, Erzählungen." Christoph Ransmayr, Geständnisse eines Touristen, S. 89


Aus dem Jahre 1047 stammt die erste Erwähnung des Jakobsweges in einer Urkunde des Hospitals von Arconada in der Provinz Palencia in Spanien. Über Jahrhunderte hinweg strebten 100.000e von Menschen dem Grab des hl. Jakobus in Santiago de Compostella auf unterschiedlichsten Wegen zu. Anfangs sollen sie einfach immer der Richtung Sonnenuntergang gefolgt sein, aber so langsam bildeten sich dann richtige Pilgerrouten aus, an denen es dann auch Versorgungseinrichtungen für die Menschen gab. In der frühen Neuzeit gab es schon mal einen deutlichen Abschwung, dem dann wieder ein Aufschwung folgte. Noch im Jahr 1970 wurden gerade mal wieder 68 Pilger im Jahr gezählt, dann gewann das Ganze wieder an Gewicht. Seit 1993 ist der spanische Hauptweg in das UNESCO-Welterbe aufgenommen worden, 1998 kamen 4 französische Routen dazu.

Besonders bekannt wurde der Weg in Deutschland durch verschiedene Bücher wie Paulo Coelhos "Tagebuch einer Pilgerreise nach Santiago de Compostela" und der Bestseller von Hape Kerkeling "Ich bin dann mal weg. Meine Reise auf dem Jakobsweg".

Über den Sinn einer Jakobswegwanderung gibt ein französischer Text darüber folgende Antwort: "L'important pour chacun est d'arriver au but (Compostelle!), mais plus encore de vivre ce que la société nous refuse: la solitude, le silence, la rencontre avec l'autre." (Wichtig für jeden ist, am Ziel anzukommen, aber noch mehr, das zu leben, was uns die Gesellschaft verweigert, das Alleinsein, die Stille und die Begegnung mit anderen) ÉCOUTE.


Was ist der "Jakobsweg"? Schon der Artikel "der" paßt für mich nicht. Es gibt ihn nicht, den "einzigen", "richtigen" für alle. Das kommt einem heute so vor, da auf so vielen Teilen des Wegs heute eindeutige Zeichen da sind, die anzeigen, wo es weitergeht, und wo man abzweigt von ihm, dem sog. "Richtigen". Das gewinnt so einen richtigen "Tunnelcharakter", Abweichungen nach links und rechts gibt es, aber sie werden in den "Führern" schon mal gelobt, mal auch eigen eingeschätzt. Da würden nur "wenige" gehen zum Beispiel.

Aus der ursprünglichen Einfachheit wurde eine immer größere Vielfalt. Zuerst ging es von Le Puy nach Compostella, fertig. Für viele gilt das noch heute, auch in der verkürzten Version ohne Le Puy, dann halt nur von Saint-Jean-Pied-de-Port aus, oder noch kürzer: die letzten 100 km vor Compostella muß man zurückgelegt haben - dann bekommt man die "Urkunde" und, wer dran glaubt, die absolute Absolution von allen Sünden!
Es haben sich inzwischen auch schon andere Vorstellungen entwickelt. Vom eigenen Bettpfosten aus solle man gehen, die ganz persönliche Variante des Themas, auch anspielend an den Anfang und die Entstehung des Lebens. Und man ging dann immer westwärts, der Sonne folgend, so weit bis sie auf dem Lande nicht mehr weiter verfolgbar war. Dann kommt man am Cap Finistère an, von wo aus es nur noch meerwärts in Richtung Amerika geht, wie wir heute wissen, Früher war dort die Erde zu Ende, was auf den Tod deutete. Das ganze Leben durchmessend auf einem Weg, eine zweite Chance gewissermaßen habend, wo man sich die grundlegenden Gedanken unterwegs noch einmal stellen kann. Wo komm ich her? Wo geh ich hin? Wofür bin ich eigentlich da? Dafür hat man unterwegs viel Zeit, um darüber nachzudenken, anderen zuzuhören, was die darüber berichten und vermuten.

Es gibt nicht "den Weg". Jeder geht seinen ganz eigenen. Immer und überall. Gerade auf den Strecken, wo wir vom Hauptweg abweichen, weil wir es bewußt tun oder weil halt keine Markierung mehr anzeigt, wo er denn, der Jakobsweg, verdammt noch mal, überhaupt ist, da wird "Entwicklung" wirklich angestoßen. "In good weather everybody can be a captain". Ein alter englischer Spruch - und doch so viel sagend. In den ungewohnten/unvorhergesehenen/schwierigeren Situationen, und die tauchen mit Sicherheit auf, zeigt sich, was in uns wirklich steckt. Da stößt man auf seine persönlichen Grenzen, manchmal aber auch halt auf das bislang ungenutzt gebliebene Potential in einem, das da voll zum Tragen kommt.


Der wieder sehr bekannt gewordene "Jakobsweg" hat an einigen Stellen auch Berührungspunkte mit dem Höhlenphänomen.

Beispiele:

 


 

In Paul Coelhos Tagebch über seine Jakobswegtour findet sich eine bemerkenswerte Höhlengeschichte unter der Überschrift: "Der Sieg über sich selbst":

Zwei Tage später erreichten wir einige Berge, die im Süden aufragten...nach einer halben Stunde Wegstrecke begann ich ein Geräusch zu hören, das so klang wie herabstürzendes Wasser. Um uns herum lagen nur sonnenverbrannte Felder...erst als wir über einen kleinen Hügel gekommen waren, stand ich vor einem außergewöhnlichen Werk der Natur. In einer Bodensenke, in die ein fünfstöckiges Haus passen würde, floß Wasser in das Innere der Erde. Die Wände dieses riesigen Loches waren von einer üppigen Vegetation bedeckt, die so anders als die der Umgebung war und das herabstürzende Wasser umrahmte.

„Laß uns dort hinuntersteigen“, schlug Petrus vor.

Wir stiegen langsam hinunter, und mir kam es so vor, als stiegen wir wie bei Jules Verne zum Mittelpunkt der Erde. Der Abstieg war steil und schwierig, und ich musste mich an den dornigen Zweigen und scharfen Steinen festhalten, um nicht abzustürzen. Mit völlig zerkratzten Armen und Beinen kam ich unten an.
“Ein schönes Werk der Natur“, sagte Petrus.
Ich stimmte ihm zu. Eine Oase mitten in der Wüste. Sie war dicht bewachsen, und die Wassertropfen bildeten einen Regenbogen.
“Hier erlaubt uns die Natur, auch unsere Kraft zu zeigen. Laß uns den Wasserfall hinaufklettern“, sagte derFührer. „Mitten durchs Wasser.“

Ich betrachetete das Szenarium vor mir noch einmal. Jetzt sah ich nicht mehr die Schönheit der Oase,die zauberhafte Laune der Natur. Ich stand vor einer über fünfzehn Meter hohen Wand, über die das Wasser miit ohrenbetäubendem Rauschen herabstürzte. Der kleine, durch das herabfallende Wasser geschaffene See war nicht mehr als mannstief, denn der Fluß floß tosend in eine Öffnung ab, die in die Tiefen der Erde hinabzureichen schien. Es gab an der Wand nichts, woran ich mich hätte festhalten können, und der kleine See war nicht tief genug, um einen Sturz aufzufangen. Ich stand vor einer vollkommen unlösbaren Aufgabe...
Ich bahnte mir den Weg durch das Wasser und stand dann zwischen dem Wasservorhang und dem Stein in einem kleinen Zwischenraum, in den ich, wenn ich mich eng anden Fels presste, gerade mit meinem Körper passte. Und da sah ich, daß die Aufgabe leichter war, als ich gedacht hatte...."

Gibt es diese Höhle wirklich?


Seit ein paar Jahren folge ich dem Jakobsweg schon in mehreren Abschnitten. Begonnen hat es in Schrobenhausen, 2014 habe ich mit mehreren Freunden, mit der Entfernung wurden es immer weniger, die Schweiz fast durchquert, im März 2015 ging es von Lausanne aus weiter in Richtung Le Puy. Dann folgte Cahors, dann war ich bis St. Jean Pied-de-Port vorangekommen. Im Herbst 2018 begann ich mit dem klassichen Camino Francès und verfolgte ihn bis Burgos. Im Juni 2019 setzte ich den Schlußstein und wanderte von Burgos bis Sarria. Da zwang mich eine Beinverletzung dazu, die letzten 100 Kilometer mit dem öffentlichen Bus nach Compostella zurückzulegen. Hinkend erreichte ich dann den großen Platz vor der Kathedrale, erhielt deshalb keine Urkunde, aber für mich war die lange Reise zu Ende. Es war ein ergreifender Moment, endlich dort angekommen zu sein. Und immer noch stellt sich mir die Frage: "Wozu eigentlich?" Ich habe keine wirkliche Antwort. "Because it's there." Die vier Wörter wurden schon vor mir von einem Everestbezwinger benutzt, George Mallory, aber sie passen zu vielem auf dieser Welt. 

Das Ganze ist natürlich in erster Linie eine über 2.500 km lange "Pilgerreise", aber das "Speläologische" taucht immer wieder links und rechts des Wegs auf. Auf diesem Aspekt liegt hier das Hauptaugenmerk, wobei es beim Wandern natürlich andersherum ist. Der Weg ist anstrengend genug, so daß mir nur wenig Kraft bleibt, etwas weiter entfernt liegende Höhlen auch noch aufzusuchen. Ein andermal.

Der Beginn an der Paar bei Schrobenhausen

>>>>> Umkehrpunkt März 2016 in St. Jean Pied-de-Port

 >>>>> von hier ging es im Herbst 2018 bis Burgos in Richtung Compostella 
Puente de la Reina

>>>>> Im Juni 2019 will ich den Weg vollenden. Gestern habe ich den Flug gebucht - bei KLM. Die hatten gestern, 4. Juni,  noch das günstigste Angebot für 180 Euro über Amsterdam bei gut 4 Stunden Flugzeit. Heute, ein Tag später, zeigt sich die ganze Verrücktheit des Systems: Man bot mir einen Flug für 57 Euros für die gleiche Flugleistung MUC-BIO an! Egal. Auf der Erdoberfläche tobt ein noch wilderer Preiskrieg. Von Bilbao will ich mit dem Bus nach Burgos, dem Umkehrpunkt bei der letzten Tour. Da gibt es Angebote zwischen 11 und 13 Euros, und BLABLA Car hält noch dagegen für Transporte mit Einzelfahrzeugen. Verrückte Welt.

Das Ziel, erreicht...


Überhaupt passen hierher Überlegungen, welche Verbindungen zwischen Wallfahrten und Höhlen gibt. Ein paar erste Hinweise:

Ausführlicheres gibt es unter Pilgerwanderungen, weltweit, und "Höhle"!



Jakobswegaufkleber am Eingangsgitter der Gerberhöhle, Schwäbische Alb 2023

 


Literatur:

Aebli, Hans Santiago, Santiago.. Klett-Cotta, Stuttgart 1990
Alt, Franz, Bernd Lohse, Helfried Weyer Aufbruch zur Achtsamkeit - Wie Pilgern unser Leben verändert, Kreuz-Verlag, Freiburg im Breisgau 2013
Bollnow, Otto Friedrich Mensch und Raum, Kohlhammer-Verlag, Stuttgart 1963
Butterfield, Anne Ich bin da noch mal hin - Mit Gott und Hape auf dem Jakobsweg, Malik, München 2012
Coelho, Paulo Auf dem Jakobsweg, Tagebuch einer Pilgerreise nach Santiago de Compostela, Diogenes-Verlag, Zürich 1999
Drouve, Andreas Jakobsweg - Stille Winkel auf dem, Ellert & Richter Verlag, Hamburg 2008
Erlenwein, Peter Reise in die Mitte des Kreuzes, Verlagsgemeinschaft Anarche, Inning 1993
Freund, René Jakobsweg - Zu Fuß bis ans Ende der Welt, Picus Verlag, Wien 2009
Fromme, Claudia Das neue Tempolimit, Süddeutsche Zeitung Nr. 74, 28./28. März 2020, S. 51
Gros, Frédéric Unterwegs - Eine kleine Philosophie des Gehens, Riemann-Verlag, München 2010
Habermas, Rebekka Wallfahrt und Aufruhr. Zur Geschichte des Wunderglaubens in der frühen Neuzeit, Frankfurt a.M. 1991
Hagenmeyer, Ulrich Das Ziel ist der Weg, Auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela, Kreuz-Verlag, Stuttgart Zürich 2003
Kerkeling, Hape Ich bin dann mal weg. Meine Reise auf dem Jakobsweg, München 2003
Kristof, Nicholas Sore Feet, Happy Days, THE NEW YORK TIMES INTERNATIONAL WEEKLY, Süddeutsche Zeitung, June 3, 2016, p 2
Moore, Tim One Man and his Ass on the Pilgrim Way to Santiago, London 2004
Moser, Achill Nimm nur mit, was du tragen kannst, Hoffmann und Campe, Hamburg 2008
ohne Verfasserangabe CHEMIN DE COMPOSTELLE - le retour en grâce, écoute 8/2011, S. 18-19
Rohrbach, Carmen Jakobsweg, National Geographic, 7. Auflage, München 2005
Schulte-Kellinghaus, Martin Jakobswege durch Deutschland und die Schweiz, Würzburg 2010
Schulte-Kellinghaus, Martin, Spiegelhalter, Erich Abenteuer Jakobsweg, Stürtz-Verlag,
Shirley Mac Laine Der Jakobsweg - Eine spirituelle Reise, steinbach sprechende bücher, 2007
Stangnetz, Bettina Sexkultur, Reinbek 2020
Stone, James The Cult of Santiago. London, Longmans, Green & Co, 1927
Urban, Thomas, Protokolle von Ego-Trip. Der Jakobsweg war mal eine Route zu einem Ort der Wunder. Heute haben die vielen Pilger meist andere Motive. Sechs Protokolle vom Leidensweg, Süddeutsche Zeitung Nr. 169, 25./26. Juli 2015, Gesellschaft S. 49
Vetter, Michael Die Psychologie der Seinserfahrung, Lüchow-Verlag, Freiburg i. Breisgau 1997
Wegner, Ulrich Der Jakobsweg, Herder, Freiburg Basel Wien 2000
Weiss, Marlene Schritt für Schritt, in: Süddeutsche Zeitung Nr. 140, 21./22. Juni 2014, V2 9

Links:

http://www.jakobsweg.info/

http://www.jakobus-info.de/

Wir pilgern auf dem Jakobusweg

VUELTA - Wandern und Radreisen - Jakobsweg

https://www.caminodesantiago.me/

http://www.chemins-compostelle.com/

https://www.gemeinde-berg.de/Der-Jakobsweg.n61.html

Weitere Webseiten zum Thema Wandern/Pilgern:

http://tcen.de/home.htm TRA NATURA E CULTURA

https://www.ssoar.info/ssoar/bitstream/handle/document/21299/ssoar-2006-peyker-die_wahrheit_der_fusse_korper-aneignung.pdf?sequence=1&isAllowed=y&lnkname=ssoar-2006-peyker-die_wahrheit_der_fusse_korper-aneignung.pdf /Die Wahrheit der Füsse


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